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Kritik
'Die Meistersinger von Nürnberg'
Repertoirevorstellung am 26.12.2009
 

 
 


Ankündigung Theater für Niedersachsen

Vor einhundert Jahren, als Hildesheim noch das 'Nürnberg des Nordens' genannt wurde, eröffnete die Hildesheimer Bürgerschaft ihr eigenes Theater. Dies erinnert an die Nürnberger Meistersingerzunft, in der Bürger sich neben ihren Berufen für die Kunst begeisterten, diese auch selbst auf hohem Niveau ausübten und Kunstveranstaltungen für das Volk organisierten. Von diesem Einsatz musikbegeisterter Städter für die Kunst handelt die Volksoper Die Meistersinger von Nürnberg. Der beim Volk beliebte Schuster Hans Sachs kämpft in der Meistersingerzunft dafür, dass sich die Kunst nicht zu weit vom Volk entferne. Er sorgt schließlich mit Witz und List dafür, dass die Bürgerstochter Eva den von ihr geliebten Mann bekommt: Der junge fränkische Ritter Walther von Stolzing begeistert auf der Festwiese mit dem Vortrag seiner Weise Meister und Volk und erringt so Eva als Preis des Wettsingens. 

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Die Meistersinger von Nürnberg, Richard Wagners einziges Hauptwerk ohne Mythen und mit Happy End, gilt als die deutsche Festoper schlechthin und steht deshalb zum 100-jährigen Hildesheimer Theaterjubiläum auf dem Spielplan. Die überreiche Musik besteht aus lyrischen Soloszenen und Duetten, pointierten Ensembles wie in der Singschule und atemberaubenden Massenszenen wie der Prügelfuge und dem berühmten 'Wach auf!'-Chor.

Keiner besser?
Hommage an Prof. Hans-Peter Lehmann anlässlich seines 75. Geburtstages


Musikalische Leitung Werner Seitzer
Inszenierung Hans-Peter Lehmann
Bühne und Kostüme Hannes Neumaier
Chöre Achim Falkenhausen
Choreographische Mitarbeit Heidi Heverhagen
Mit Johannes von Duisburg (Hans Sachs), Ernst Garstenauer (Veit Pogner), James Daniel Frost/Götz Phillip Körner (Kunz Vogelgesang), Roman Tsotsalas (Konrad Nachtigall), Uwe Tobias Hieronimi (Sixtus Beckmesser), Rainer Weiss (Fritz Kothner), Hans Sojer/Christian Reimers (Balthazar Zorn), Wilhelm Adam (Ulrich Eisslinger), Christoph Rosenbaum (Augustin Moser), Tilman Birschel/Jörg Heppe (Hermann Ortel), Piet Bruninx (Hans Schwarz), Michael Humann (Hans Foltz), Wolfgang Schwaninger (Walther von Stolzing), Jan Kristof Schliep/James Daniel Frost (David), Isabell Bringmann (Eva), Verena Usemann (Magdalene), Michael Farbacher (Nachtwächter), Lehrbuben Neele Kramer, Katharina Müller, Tomoyo Natsuume, Antje Siefert; Martin Büto, James Daniel Frost jr., Wojciech Mastalerz, Atsushi Okumura, Dieter Ripberger, Oleg Sopunov, Harald Strawe; und Chor, Extrachor, Symphonischer Chor, Kinder- und Jugendchor, Statisterie und Orchester des TfN

Aufführungsdauer ca. 5 Stunden 45 Minuten, inklusive 2 Pausen

   
   
 

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  Die Meistersinger und nichts als die Meistersinger -
   
 
Keine modischen Mätzchen, keine Nackten, keine Hakenkreuze, Judensterne, Ledermäntel, Koffer, kein Müll, kein Ekel, sondern ein so lebendiges Theater, dass ein  höchst aufmerksames Publikum wohl am liebsten auf der Bühne mitgemacht hätte.
Und auf die Frage, ob denn ein so kleines Theater wie Hildesheim eine so große Oper überhaupt aufführen dürfe, sei allen Naserümpfern, Snobs und Bedenkenträgern gesagt:
Ja, es darf und es soll, wenn die Aufführung so ist, wie diese unter der Regie von Hans-Peter Lehmann und dirigiert von Werner Seitzer, die in olympischem Sportsgeist vielerlei Kräfte gesammelt haben, um eine Vorstellung auf die Beine zu stellen, die im besten Sinne 'Volkstheater' ist. Erfahrene, Jugendliche und Kinder auf der Bühne und im Zuschauerraum erleben den wundersamen Kosmos Musiktheater und gehen bereichert nach Hause. Im Fernsehen liefen ganz wunderbar liebevolle Neuverfilmungen von Grimms Märchen - beginnt vielleicht eine Rückbesinnung auf den Wert schöner Erzählungen - aber auch der Münchener 'Lohengrin' mit dem Traumpaar Anja Harteros / Jonas Kaufmann, mit denen der Regisseur das Werk auf die bürgerliche Ebene herunterbrechen zu müssen glaubte und ich zahlreiche Male hören musste: "Was soll der Quatsch?"

Nein, Leute, ich bin auch davon überzeugt, dass Richard Wagner seine Werke mit der Zaubermusik nicht dafür erfunden hat, dass ein frustrierter Zimmermann - Lohengrin ein Kabuff aufbaut und später samt Wiege abfackelt.

In Hildesheim sehen wir das Bühnenbild und die Kostüme von Hannes Neumaier, bewusstes Kasperletheater, Hausfassaden zwischen Nürnberg und Hildesheimer Altstadt, preiswerte Textilien, die die Meister aufputzen und kein Zobel oder Fuchs musste z.B. für Meister Pogners Verbrämung sterben, aber jeder weiß, was gemeint ist. Alle kleineren Räume und Gebrauchsgegenstände angedeutet, schlicht und handlich. Die fröhlich schmunzelnden Gesichter im Publikum zeigen das Einverständnis.
 

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  Aus dem überdeckten Orchestergraben tönt schwungvoll das Vorspiel, das kunstvolle Gewebe der Themen vielleicht durch die gewichtige Weihnachtsgans im Magen etwas monochrom.
Kraftvoll und jugendfrisch singen die vereinigten Chöre unter Achim Falkenhausen und zeigen auch später mit viel komödiantischem Einsatz das Ergebnis präziser Einstudierung.

Eva - Isabell Bringmann - von gotisch-hagerer Gestalt und Magdalene - Verena Usemann - ein appetitlicher junger Mezzo, mit angenehm frischer Stimme, sind zwei gute Freundinnen, die schlau jeden Zug planen, um der anderen zum Glück zu verhelfen.
Walter von Stolzing - Wolfgang Schwaninger - mit der lässigen Gangart eines Westernhelden stellt sich vor und die Ohren konstatieren erfreut: oh! ein richtiger Tenor - die Stimme sitzt punktgenau, ein erfahrener Recke, der genau weiß wie die Töne zu platzieren und zu führen sind. Mit Evas hellem, leuchtenden Sopran sind die beiden ein schönes Paar, dem man gerne zuhört.

Ein Rudel überaus gut gelaunter Lehrbuben spielt und singt mit viel Spaß an der Bewegung wie sie Hans-Peter Lehmann so einmalig vermitteln kann. David - James Daniel Frost - bewältigt die schwierige Lehrstunde über die Meisterweisen zuverlässig, im Vergleich zu seinen Kollegen aber schwächer in der Textverständlichkeit.

Veit Pogner, der reiche, würdevolle Goldschmied - Ernst Garstenauer - mit angenehmem Bass erscheint mit dem Stadtschreiber Beckmesser - Uwe Tobias Hieronimi. Dieser, mit kernigem Bariton, edlem Profil, präzise in der Diktion und geradezu tänzerisch auf die Akzente der Musik ausgeführten Bewegungen in schwarzer spanischer Tracht.
Die übrigen Meister richtig besetzt, walten engagiert ihres Amtes, man lehnt sich entspannt zurück und freut sich an einer sorgfältig gearbeiteten, lebendigen Vorstellung.

Hans Sachs - Johannes von Duisburg - ergreift das Wort und setzt uns in Erstaunen. Hochgewachsen mit ausdrucksvollem Gesicht zeigt er sich als Meister der Sprache, bei dem man wirklich jedes Wort versteht, dazu ein weicher Bassbariton, der sicher noch seinen Kern finden wird.

Allen, die mit dieser Sängerschar gearbeitet haben, ein extra Blumenstrauß für die Anfangs- und Endkonsonanten wie auch sauber getrennte Vokale in unserer schönen deutschen Sprache.

Das Werk nimmt seinen Lauf: Stolzing schwelgt in gut gebauten Kantilenen, Beckmesser meckert hinreißend - man streitet, es endet im fröhlichen Tumult des dreizehnstimmigen Ensembles, dazu dann noch die drei Stimmen der Lehrbuben, der ff-Schlussakkord in F-Dur, ein Jubelschrei des Publikums und in der Pause viel lebhaftes 'Reden und Gesumm.'
 

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  Das Vorspiel zum zweiten Akt zeigt, dass das Orchester inzwischen seine Form und die rechte Farbigkeit gefunden hat, die Szene läuft gesanglich und darstellerisch so wie es sein soll zwischen den Märchenhäusern bis zur sagenhaften Prügelfuge und dem besänftigenden Ruf des Nachtwächters - Michael Fahrbacher - ab und der arg geschundene Beckmesser taucht mit zerbrochener Laute aus den Resten der Kissenschlacht auf.

In der zweiten Pause bestätigt das Publikum begeistert, dass man, weil der Bühnenraum so geschickt genutzt wird, vergisst, dass das Theater Hildesheim ein kleines Haus ist.
 

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  Das Vorspiel zum dritten Aufzug, ein Stück feinster Kammermusik, mit der Feststellung, dass Richard Wagner zwischenzeitlich den 'Tristan' geschrieben hatte - beendet am 6. August 1859.
Die tiefen Streicher verbreiten edle Melancholie zur Entsagung von König Marke und Hans Sachs. Die 'Schusterstube' kann einem in manchen Aufführungen elend lang vorkommen, zumal dann, wenn der Sachs unverständlich mulmig singt, der Stolzing um Kondition kämpft, das Evchen schrill und zickig ist, aber hier in der kulturell wichtigen deutschen Provinz, die man gegen alle versnobten Journalisten und uninteressierten Politiker verteidigen  muss, erfreuen Wohlklang und solides Können.
In der dritten Szene spielt Uwe Tobias Hieronimi in der ihm eigenen Präzision die Pantomime, bis ihn eine Kreislaufschwäche überfällt, die alle erschrecken lässt. Was wird jetzt aus dem 'Nonsens-Preislied' auf der Festwiese?

Wolfgang Schwaninger beweist Professionalität  und bewältigt sein 'Meisterlied' dank der 'coolen' Einteilung seiner Kräfte souverän und das gefürchtete lange 'A' des 'Liebestraum' gelingt wie ein gut vorbereiteter Hochsprung.
Außer ihrer guten Phrasierung, feinem Legato und erfreulicher Textverständlichkeit - selten eine Tugend bei 'Berufssopranen' - bewältigt Isabell Bringmann die sportiven Stellen ihrer Partie, die beiden hohen 'B' bei 'Sachs! Mein Freund' und den 'höchsten Preis' am Ende des Quintetts, zur Freude unserer Ohren.

Es naht nun die 'Festwiese' und was macht Hans-Peter Lehmann und seine choreographische Mitarbeiterin Heidi Heverhagen aus den beengten Räumlichkeiten?
Es gibt weder Prunk noch Protz, sondern es agieren höchst lebendige Menschen - Kinder - Jugendliche - Laien - Profis aller Altersstufen mit so viel Spaß an den quirligen Einfällen wie die Gewerke dargestellt werden - auch das Kasperletheater tritt leibhaftig auf - dass ein fröhliches Gluckern im Publikum zu hören ist. Nach dem anmutigem Tanz der 'Mädel von Fürth' - keine verhungerten Balletteusen, sondern echte 'Hiesige' - erscheinen die Meistersinger und alle sammeln ihre Kräfte für den 'Wach-auf-Chor', der dann so prachtvoll klingt, dass einen die Gänsehaut überkommt.

Von einem Arzt einigermaßen wieder auf die Beine gebracht, spielt Uwe Tobias Hieronimi Beckmessers Aktionen und aus der Gasse tritt Hans-Peter Lehmann und singt laut und unerschrocken Beckmessers Lied, belohnt von einer lautstarken Eruption der Bewunderung des Publikums.

Walters Preislied, die Königsdisziplin der Tenöre, gelingt so gut, dass der auf Ökonomie bedachte Wolfgang Schwaninger endlich erleichtert strahlen kann.
Nach seiner strapaziösen Partie hat jetzt Hans Sachs noch eine letzte Probe, von Johannes von Duisburg mit versammelter jugendlicher Manneskraft bestanden und das grausame hohe und lange E des Heil'gen Röm'schen 'Reich' steht sieghaft im Raum - die gedrückten Daumen können sich entspannen, jetzt noch ein schönes hohes C von Chorsopran und Evchen für die 'heil'ge deutsche Kunst' - geschafft !!!

Der Jubel des Publikums umarmt die Mitwirkenden samt Orchester und Hans-Peter Lehmann, der Menschenfreund, empfiehlt den kranken Beckmesser, den 'Millimeterkünstler', der Anteilnahme, die ihm alle gern gewähren.
 

 

  Kurz gesagt: es war ein Fest!
Dem 'Theater für Niedersachsen' und seiner Leitung verdanken wir einen beglückenden Abend, darin sind sich die meisten der Musikfreunde im Richard-Wagner-Verband Hannover einig.

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