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Staatsoper Hannover
   
Premiere -
Richard Wagner - 'Tannhäuser' -
20.01.2007

  
"Mein Sänger, auf! Ergreife deine Harfe"
 
   
   
 

Mit Bangen geht der Musikfreund heute in eine Oper, in der Sexualunterdrückung, Triebverzicht, Jungfrauenkult, Männerbünde, ein innerlich zerrissener Künstler, zwei Frauen - säuberlich polarisiert in Heilige und Hure - ein religiös fanatisiertes Volk und ein unbarmherziger Seelenhirte gezeigt werden.
Wäre da nicht die größtenteils geniale Musik von Richard Wagner, könnte man Berichte über diese Themen, von den Kriegsschauplätzen und aus den Gerichtssälen bequem vor dem Fernseher konsumieren.

Dass die Hannoveraner ihr Opernhaus lieben, ist bekannt und so war es an diesem Abend mit einem gepflegten, aufmerksamen Publikum gefüllt, das schon die fein abgestuft musizierte Ouvertüre mit freudigem Jubel belohnte.

Wenn sich der Vorhang öffnet, ist der feucht-kalte Keller einer Sportarena zu besichtigen oder der üstra-Bunker unter dem Hauptbahnhof Hannover, in den es die Opfer des Sturms ’Kyrill’ verschlug.
Zwei Figuren mühen sich um den Vollzug dessen, weshalb Männer Bordelle besuchen, aber – was soll denn die Verschämtheit – die Kleidung des Mannes bleibt verschlossen.

Licht- und Sauerstoffmangel haben Frau Venus und ihre Freudlos-Mädchen anämisch und rheumatisch gemacht. Papierknappheit zwingt den Poeten Tannhäuser, die Körper der Angestellten zu beschriften.
Diese Untat mit Koran-Suren ausgeführt, kostete den holländischen Regisseur Theo van Gogh durch die Hand eines frommen Islamisten das Leben.

Statt “gebettet auf dem weichsten Pfühle“ bemüht sich nun Khatuna Mikaberitze als Venus auf dem harten Dienst-Lager um den schmuddeligen Punk namens Tannhäuser.
Sie singt schön und kraftvoll, macht das Beste aus dieser stimmlich unangenehmen Partie, über die Richard Wagner am 10. August 1860 an Mathilde Wesendonck schrieb: “Frau Venus habe ich steif empfunden, einige gute Anlagen, aber kein rechtes Leben.“
Frau Mikaberidze ist hübsch, ihr Körper geschmeidig und es gehört schon beträchtlicher Frauenhass dazu, eine solch attraktive Person in einen solch schmierig-schlabbrigen, grauen Kittel zu stecken.

Die Bühnentechnik, Hubpodien und Plafond nutzend, macht’s möglich, der kernig-nasal singende Robert Künzli verlässt den krankmachenden Venus-Keller und landet auf einem quietschgrünen Golfrasen, der mit einer blau ummantelten Madonnen-Statue samt Heiligenschein geziert ist.
Aus diesem Tuch um den Sockel krabbelt ein kleines Kerlchen im roten Mäntelchen hervor, Hinako Yoshikawa, singt sauber und angenehm timbriert à capella das Hirtenlied und schleppt nun den ganzen Abend barfuß ein blutiges, totes Lamm mit sich herum. Das hatte wohl Problem-Bär Bruno zerbissen und das kostete ihn von der Hand eines frommen Waidmannes das Leben.
Nicht weiter störend ziehen Rucksack-Touristen vorbei, mit Hape Kerkeling ’mal eben weg’ auf dem Pilgerpfad.

Mit dem Landgrafen Herrmann erscheinen die erfolgreichen Herren der ’Generation Golf’. Man gebärdet sich klassenbewusst, männlich markig-singend, und das Zauberwort “Bleib bei Elisabeth“ reiht den Außenseiter Tannhäuser wieder in den Club der Leistungsträger ein.

to top

Nach dem schwungvoll dargebotenen Vorspiel zum 2. Aufzug zeigt sich die Sportarena mit ein paar Standarten geziert und einem Schreibtisch bestückt. Der in einem scheußlichen Trenchcoat gekleideten Brigitte Hahn gelingt das Kunststück, mit dem Wohlklang ihres beseelten, in allen Lagen gekonnt geführten jugendlich dramatischen Soprans und der Wahrhaftigkeit ihrer Darstellung einer jungen Frau in den Zwängen einer christlich-fanatisierten Macho-Gesellschaft, trotz Klischee-Kitsch und Verhöhnung des Werkes durch den Regisseur, ihre Figur zum anrührenden Mittelpunkt zu gestalten. Das gefürchtete ’hohe H’ am Ende der Arie strahlt satt und rund, Piani und Legati strömen ’sul fiato’ wie man es sich wünscht, ihre Diktion lässt vernehmen, dass sie weiß und auch fühlt, was sie sagt. (Kleiner wohlwollender Hinweis: der Unterkiefer sollte beim Singen nicht wackeln!)

Der ’Einzug der Gäste’ geschieht durch einen Mittelalter-Laienspielschar, ein Tugendklub mit Ritual-Lilien und Ritual-Schwertern, die als Erstes ein mageres Mädchen, das laut umgehängtem Schild ’Lust verspürt’ hatte, bespucken, auspeitschen und davonjagen.
Dann äußern sich die Herren des Klubs zur ’Liebe’.
Außer den Verdrängungen, unter denen das 19. Jahrhundert und der Autor Richard Wagner litten, gelang der ’song contest’ nur mäßig.

Jin-Ho Yoo als Wolfram knödelt, dass einem der Hals schmerzt. Young Myong Kwon als Biterolf klingt hohl zum Fürchten, nur Latchezar Pravtchev’s geplegte, erfahrene Gesangskunst als Walter lässt ahnen, wie schön das eigentlich klingen könnte.
Albrecht Pesendorfer, der wackere Bass und Club-Chef bedrängt zwar seine Nichte - ein bisschen Kindesmissbrauch reiht sich in die Kette der Klischees – vertritt aber mit Laptop und Blechkrone respektabel das Fach des ’basso cantante’.

Als nun endlich Frau Venus orchestral ins verlogene Gesäusel dazwischenfährt, sollte die Stunde des Super-Stars Tannhäuser schlagen.
Zwar hätte der Landgraf neben dem ausgeliehenen Mantel auch den Besuch eines Friseurs spendieren können, denn Tannhäuser trug immer noch die peinigend hässliche Strähnen-Perücke, die den kurzhalsigen Resonanzkopf des Heldentenors zur Dämlichkeit entstellte, aber bei seinem sündigen Preislied auf Venus mochte sich die sonst wohlige Gänsehaut nicht einstellen.
Nun gut, Elisabeth rettet sein Leben mit innigen Tönen, der Tugendklub verstößt den schmuddeligen Liedermacher, also, auf denn nach Rom!

to top

Bei geschlossenem Vorhang genießt das Publikum das Vorspiel zum 3. Aufzug, feine Kammermusik aus dem Orchester. Dann umschließt wieder das Golfgrün mit Mantelmadonna die Sportarena.
Elisabeth hockt wieder im schäbigen Trenchcoat einsam auf einem der blauen Sitze, Wolfram schnüffelt ihr nach, das Kerlchen im roten Mäntelchen, totem Lämmchen und nackten Füßchen wuselt umher, die Rucksack-Touristen kehren, glücklich aller vermeintlicher Sünden nun bar zu sein, zurück – auch hier erfreulich, der satte Klang des Chores, sensibel differenziert, ohne unnötige Kraftmeierei und gut in der Diktion.

Aber Tannhäuser ist nicht bei den Heimkehrern. Elisabeth betet, singt untadelig schön, verwandelt sich mystisch, irre-verzückt mit Madonnenmantel und Heiligenschein in eine Statue.
Unbequem auf dem Sockel, an ihren Rocksaum gequetscht, gibt Wolfram sein Lied an den Abendstern wieder. Gerade da sehnt man sich nach dem süffig, sinnlichen Timbre von Bernd Weikl oder der raffinierten Askese von Roman Trekel.
Tannhäuser– Robert Künzli erstaunlich stimmstark, aber ohne anzurühren – berichtetet über seine Rom-Erlebnisse. Die jungen Pilger, weiß-gewandete Nonnen mit Herz-Jesu-Emblem postieren sich mit WM-feeling auf den Arena-Sitzen, veranstalten die ’La-ola-Welle’ zur Gaudi des Publikums, ein rotes Kardinälchen tänzelt mit dem ergrünten Stab durch die Reihen, die Elisabeth-Statue entschwebt nach oben, der feuchte Venus-Keller fährt herauf, Frau ’Venus’ Mikaberidze singt tapfer nach der ermüdenden Pause im 2. Aufzug die letzten schweren Phrasen (Vorsicht: nicht auf den Glottis-Schlag!).
Tannhäuser umnachtet geistig, das Spiel ist aus, der Vorhang fällt.

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Das gescheite Publikum verteilt Lob und Tadel – Bravos für Frau Hahn und Frau Mikaberidze, mit Fug und Recht, ebenso für Maestro Bozic und das Staatsorchester, für den Chor und Dan Ratiu als Chorleiter, Wohlwollen für die anderen, gemischte Buhs für Robert Künzli.

Ein einhelliger Protestschrei für die drei verdrießlich, unfroh gekleideten und einherschreitenden Damen des Ausstattungsteams und den zierlichen Philipp Himmelmann, der sich feixend mit der arroganten ’Josef-Ackermann-Geste’, dem Victory-Zeichen, bedankt.

Fazit:                    Sieger nach Punkten: Richard Wagner.
Empfehlung:         Neugierig in die Staatsoper Hannover, dann aufs Sofa legen
                             und vergleichend der Sinopoli-Aufnahme lauschen.








 

 
   

Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
sondern als Hinweis auf nach meiner Auffassung zu Geglücktem oder Misslungenem.
Neben Sachaussagen enthält diese private Homepage auch Überspitztes und Satire.
Für diese nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5 Grundgesetz in Anspruch.
In die Texte baue ich gelegentlich Fehler ein, um Kommentare herauszufordern.
          Marie-Louise Gilles


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