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Bericht
'Parsifal'
Repertoirevorstellung 

Landestheater Detmold

Samstag 18.03.2012 / 16.00 Uhr

 
 
 
 

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  'Parsifal'
 oder
 'Hormone behindern die Heiligkeit'
   
 

Dies ist der kurzweiligste 'Parsifal', den ich je erlebt habe!
Ich war Knappe, Blumenmädchen, Kundry - aber auch Publikum und weiß, wie elend lang dieses Stück ist.

Und so geht man mit bösen Vorahnungen, welchen Unsinn ein Regisseur mit einer 'modischen Inszenierung' dem Werk wohl überstülpen wird, um seine Neurosen abzubauen, in die Vorstellung des 'Bühnenweihfestspiels'.

Aus dem tiefliegenden Orchestergraben raunt das Vorspiel mit weichem Streicherklang, kammermusikalisch fein gestaltenden Holzbläsern und schmerzlich schönem Ton der Solotrompete (Kompliment!) - keine Kiekser im Bläserensemble und nie während des Abends werden die Sänger zugedeckt, dank des erfahrenen, umsichtigen und sehr lebendigen Dirigats des GMD aus Kaiserslautern, Uwe Sandner, der für den erkrankten Erich Wächter am Pult stand und am Schluss mit Recht gefeiert wurde.

Das Öffnen des Vorhangs ist gerade heutzutage auch für den abgebrühtesten Theatergänger immer wieder ein spannender Moment:
hat das Bühnenbild mit dem Stück etwas zu tun oder klatscht uns der Performance-Künstler etwas vor die Augen, das aus seinen verqueren Träumen stammt?

Wir sehen die gleißend weiße Fassade eines Sakralbaus mit Rundturm, Treppe, Durchgang zum Garten und einen durch Vorhang abgeschirmten Raum.

Wir befinden uns in einem katholischen Konvikt, bevölkert von Jungs, Jugendlichen und Männern aller Altersstufen der Priesterlaufbahn. Durch die inzwischen aufgedeckten Missbauchsfälle wissen wir, was dabei herauskommt, wenn die Kerle, durch die Bibel und den Apostel Paulus zum Frauenhass erzogen, mit all ihrem Testosteron allein gelassen werden.
In überaus zahlreichen Einzelaktionen zeigt uns der Regisseur und Detmolder Intendant Kay Metzger was hinter Internats- und Klostermauern wie in all' den Männerbünden, die Welt regieren, schief läuft. Vom unerlaubten zärtlichen Knutschen bis zum militanten Blutritual:

> Nehmet vom Wein,
wandelt ihn neu
zu Lebens feurigem Blute,
froh im Verein,
Brudergetreu
zu kämpfen mit seligem Mute! <


vom prächtig singenden Männerchor - Einstudierung Marbod Kaiser - blutbeschmiert, stampfend bekräftigt, wecken sie beim geschichtsbewussten Zuschauer Assoziationen an Kreuzzüge, Kolonisierungen mit Bibel und Schwert bis zum Abschlachten von  Fremdrassigen und den Attentaten heutiger, fehlgeleiteter Fanatiker unserer Tage.
 
 

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Im ersten Aufzug scheucht der Schulleiter, Pater Gurnemanz, seine herumhängenden Alumnen auf, bis der wilde Violinlauf die Ankunft Kundrys ankündigt. Als sie das verhüllende schwarze Tuch öffnet, kommt Brigitte Bauma heraus, mit blutroter Perücke, weißer Rüschenbluse und siebenachtel Gaucho-Hosen mit breitem Schlag, breiten Hosenträgern, Knöchelstiefeln - zeigt so, was einen kleinen, runden Menschen noch kleiner und runder erscheinen lässt.
Und genauso kostümiert, damit die Zusammengehörigkeit dokumentiert wird, erscheint Parsifal - Johannes Harten - ein - allerdings fabelhaft und kraftvoll singendes - 'Riesenbaby' und man grübelt unentwegt, warum eine Kostümbildnerin - Petra Mollérus - die doch ein Gespür für Ästhetik und Würde haben sollte, die zwei Hauptfiguren in deren Aussehen so entstellt, dass sie bei der Schwierigkeit der Partien auch noch gegen ihre äußere Erscheinung anzukämpfen haben.

Amfortas, der kranke König wird hereingefahren und durch Verbandswechsel von viel Blutigem befreit und neu versorgt.
Der Bariton - Andreas Jören - ist mit glaubhaftem Spiel, angenehmer und gekonnter Stimmgebung, dazu hagerer Gestalt die Idealbesetzung für den schmerzgeplagten König, der gezwungen ist, zu leben.

Gunemanz - Christoph Stephinger - erklärt seinen Knappen, Kundrys Geschichte und die des verlorenen Speers.
An diesem Abend singt er, dessen Stimme ich voluminöser in Erinnerung habe, schlank und fast schmal, um diese mörderisch lange Partie heil zu überstehen und es gelingt ihm, die Kraftreserven ökonomisch auf die Höhepunkte zu verteilen.

Parsifals erste knabenhafte Untat, einen unschuldigen Schwan aus Freude am Schießen und Töten umgebracht zu haben, wird von Gurnemanz streng getadelt:

> Du konntest morden,
....
... Was tat dir der treue Schwan ...<

Als Parsifal den Bogen zerbricht, beginnt seine Entwicklung vom Toren zum Weisen.
Mit Erstaunen hören sie Kundrys Bericht über Parsifals Herkunft von Herzeleide und Gamuret, den sie im zweiten Aufzug zur Verführung Parsifals mit der Erinnerung an die erste Liebe des Knaben zur Mutter ausführlich schildert. An einem Silberarmband lässt der Regisseur Gurnemanz vermuten, dass Parsifal 'adlig und hochgeboren' ist.
Das  Standesdenken sitzt noch fest in den Köpfen!
In abgerissenen Sätzen mit fallenden Intervallen, umspielt vom chromatischen Klingsor-Motiv, der sie wohl unter Drogen hält, sinkt Kundry erschöpft in ihren zwanghaften Schlaf.

Der kranke Amfortas wird vom Bad im Rollstuhl herbeigefahren und Gurnemanz vermutet, dass dieser unwissende junge Mann vom Gral, dem Symbol der Erkenntnis, zu ihm geführt wurde, um das Problem des Ordens irgendwann durch die Rückgewinnung des Speers zu lösen.
Vor der geheimnisvollen Verwandlungsmusik mit ihrem Motivgeflecht sagt Gurnemanz den rätselvollen Satz, der ein Problem enthält, das die Physiker auf der ganzen Welt zur Zeit beschäftigt:

> ... zum Raum wird hier die Zeit. <

Die Klanginstallation der 'Höhenchöre' entfällt life, sie kommen nüchtern vom Band, so wie dieser Inszenierung jegliches Geheimnis fehlt, zugunsten realer Unterhaltsamkeit.
So ist auch Titurel - kraftvoll gesungen von Dirk Aleschus - keine Schattengestalt, sondern eine muntere Mumie in weißen Bandagen.

Bei allem Realismus gelingt es jedoch Andreas Jören 'die Klage des Amfortas' - dieses Glanzstück heldenbaritonaler Ausdruckskunst, so erschütternd zu singen und zu verkörpern, dass man die netten Mätzchen drumherum für eine Weile vergisst und mit Gänsehaut 'Erbarmen' mit seinen Qualen hat.
Autosuggestion soll ja so stark sein können, dass sie zur Stigmatisierung führt.

Den Klangzauberer Richard Wagner muss man auch nimmer wieder bewundern, wenn er die Abendsmahlsworte von einer Unisono-Chorlinie aus Alt und Tenor singen lässt, die als tiefe Frauenstimmen und hohen Männerstimmen ohne Geschlechtsbezug engelhaft klingen, während 'Selig im Glauben' in nebelhaften Sopranhöhen verfliegt.

Die Gralsglocken untermalen militant den Abmarsch der Ritter und der weihrauchfass-schwenkenden Messdiener nach dem grausigen Blutmahl, Gurnemanz verjagt den dummen Parsifal, der 'durch Mitleid wissend' nach dem Leiden des Königs hätte fragen sollen.
Pianissimo in hoffnungsvollem C-Dur schließt der erste Aufzug.
 
 

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'Heftig, doch nie übereilt' lautet Richard Wagners Tempo-Angabe für das Vorspiel zum zweiten Akt, das uns Zuhörer mit chromatisch auf- und abschwellenden Orchester-Wogen auf die Zauberwelt Klingsors einstimmt.
Die Bühne zeigt die gleiche weiße Fassade wie im ersten Aufzug, der Behandlungsraum ist jetzt mit orange und der Gang zum Garten mit rosa Chiffon verhängt - rechts im Hof eine weiße Palme.
Oben auf der Treppe steht die böse Eminenz in Lila mit Barett aber nackten Beinen unter dem Habit, damit keine Unterwäsche auf die Kastrationswunde drücken kann. James Tolksdorf ziert ein fein gepflegter 'barbe bleu' - vor allem aber eine gepflegte Diktion mit gut sitzenden Konsonanten, die seinen attraktiven Charakterbariton aus den übrigen Solisten des Abends durch Textverständlichkeit hervorhebt.
Er weckt Kundry mit all' den Namen, die sie in ihrem vorigen Leben trug: Urteufelin, Höllenrose, Herodias, Gundryggia (die Kriegstrickerin), Kundry.
Im Text von Wolfram von Eschenbach wird sie als Horror-Gestalt beschrieben: '


 

> Über den Hut hinweg baumelte ihr ein Zopf bis auf das Maultier herab, der war lang, schwarz, stramm und nicht sonderlich schön, kurz, er war so weich wie eines Schweines Rückenhaar. Eine Nase hatte sie wie ein Hund. Zwei Eberzähne ragten ihr wohl spannenlang aus dem Munde. Die Augenbrauen waren ihr zu zwei Zöpfen gedreht und mit unter das Stirnband gesteckt.
Kundry hatte Ohren wie ein Bär, ... Hände wie aus Affenhaut ... Fingernägel wie eines Löwen Krallen ... <

 

Aber er schildert sie auch als höchst gebildet, sie sprach viele Sprachen, beherrschte Geometrie und Astronomie und trug den Beinamen 'Surzière' die Schicksalskungie (sors, lat. Los)
In frauenfeindlich christlicher Zeit ist das natürlich eine böse Hexe. Bewundernswert, was der Dichterkomponist aus den Aventüren des Wolfram von Echenbach, deren unzählige Erzählstränge den heutigen 'daily soaps' vorausgingen, auswählte, als er sich 1845 zur Kur nach Marienbad begab, aber erst 1865 in München mit der Arbeit an dem Werk begann.

In Detmold wacht Kundry also auf, schreit, stöhnt, singt recht sauber ihre schwierigen Intervalle und erscheint in einem Satin-Morgenrock, lila, wie ihr Meister. Er beherrscht sie, weil er weiß, dass sie die Befreiung von ihrem Fluch - Jesus auf seinem Leidensweg verlacht zu haben - in der Liebe sucht, sie weiß von ihm, dass er, um an den Gral zu gelangen, die von den Rittern geforderte Keuschheit durch Selbstkastration erreichen will.
Noch bis ins 19. Jahrhundert hat sich die Sekte der Skopzen, aus religiösem Fanatismus dieser Tortur unterzogen.

Klingsor beobachtet ein Gefecht der Gralsritter mit seinen Anhängern, Parsifal tritt auf, die Bühne erstrahlt rosa und pink und die Blumenmädchen, die der Chef durch einen 'Stich' mit dem Speer auf ihre Lustfähigkeit überprüft hat, erscheinen zum Dienst.
Schwarze Satinmorgenröcke verhüllen erst noch die schwarze Corsagen- und Strapsen-Berufskleidung.
Ein weißblondes Ritterlein wird entkleidet und sanft ins 'Behandlungszimmer' geführt. Parsifal wird geherzt bis Kundrys Stimme einer heftigen Keilerei unter den eifersüchtigen Mädels ein Ende macht.

Nun soll Kundry den jungen Helden durch die Erinnerung an mütterliche Zärtlichkeit verführen und man wünscht sich für die Erzählung

> Ich sah das Kind an seiner Mutter Brust, ...<

in sanft wiegendem Sechsachteltakt, eine runde, ruhige Stimme. Das ist natürlich viel erwartet von einer Sängerin, der am Ende des zweiten Aufzugs ein wildes Feuerwerk hoher Töne abverlangt wird.

Als Publikum hat man sich inzwischen in das Unvermeidliche gefügt, versucht das heftige Sopran-Vibrato zu überhören, die Lächerlichkeit des Gaucho-Hosen-Kostüms zu übersehen, um mit wirklicher Freude die tadellosen, jugendlichen Heldentöne von Johannes Harten zu bewundern. Möge eine liebevolle Kostümbildnerin und ein 'personal-trainer' sich seiner annehmen - das ist mal eine gesunde Heldenstimme, wie man sie sich wünscht!

Von einem Blitz abgelenkt, sieht nur der sehr wache Zuschauer wie Parsifal den Speer in die Hand bekommt, es donnert gewaltig, die Palme knickt ein, Klingsors Spuk ist beendet.
Glückliches Detmold, eine solche Schar blendend aussehender und schön singender Damen zu haben!

 

   
 
Dritter Aufzug
Sehr langsam, mit abwärts gerichteten Intervallen, rhythmischen Stockungen, eingewebtem Kundry-Motiv und chromatisch schleichenden Linien werden wir auf die trostlose Leere des Ordens vorbereitet.
Gurnemanz ist ergraut, es schneit, Kundry stöhnt und schreit, wird langsam wach und bewusst. Viel hat man nachzudenken, wenn sie als letzte Worte 'dienen - dienen' sagt.

Ist es Wagners Meinung, dass die dummen Weiber zu nichts anderem zu gebrauchen sind oder der Ausdruck einer Ethik der Selbstlosigkeit, die unserer knallharten 'Egomanen-Elite' einen Weg aus den Krisen aufzeigt?

Parsifal erscheint in düsterer Tarnkleidung mit dem Speer, erzählt von seinen Irrfahrten und dass er die heilige Waffe nie zum Kämpfen missbraucht hat. Dem fast Ohnmächtigen bringt Kundry einen Trank.
Der Turm der Fassade dreht sich und es erscheinen 'lebende Bilder' aus der Religionsgeschichte: von Evas Verbrechen, nach der Frucht der Erkenntnis gegriffen zu haben - eine willkommene Ausrede, die 'Töchter Evas' über Jahrtausende unterdrücken zu können - über den Kreuzweg, die Kreuzigung, die Pietà bis zum auferstandenen Christus mit Fahne.

Ist das nun frommes Volkstheater oder sind es Hiebe auf den Sakralkitsch der katholischen Kirche?

Kundry salbt Parsifal die Füße, sie erhält die Taufe, Gurnemanz salbt Parsifal zum König und - hat noch ein paar grausam schwere Phrasen zu bewältigen, die Christoph Stephinger dank seiner ökonomischen Einteilung der Gesamtpartie gut gelingen.

Bei
> ... die letzte Last entnimm nun seinem Haupt! <
hinauf aufs E-Is - da bricht mir mitfühlend der kollegiale Angstschweiß aus.

Danach braucht er immer noch Reserven, um die 'Karfreitags-Aue' schön wie einen Liederabend zu singen.

Titurel, die nun tote Mumie, wird von den Rittern hinausgefahren, der Speer heilt Amfortas, der Gral erglüht, wird wieder zum Symbol des Kraftquells und Klingsors  Freudenmädchen wandeln sich zu Ordensschwestern.
So klingt der gemischte Chor fein sauber von der Bühne und dem Regisseur gelingt zum Schluss eine Überraschung, die jedes Frauenherz erfreut, denn die Zukunft können wir nur gemeinsam gestalten.

Ergriffen lauscht das Publikum den verhallenden Klängen in As-Dur und spendet dankbaren Beifall.

 
   
 
Ist das nun eine Parsifal-Inszenierung der philosophischen Sinnsuche?
Ist das die von Schopenhauer übermittelte buddhistische Entsagungsmystik, die Wagner in seinem 'Bühnenweihfestspiel' als Weg sah, wie er in seiner Abhandlung Religion und Kunst von 1880 schrieb, durch die Kunst 'den Kern der Religion zu retten'?

Wir sahen handwerklich gut gemachtes Operntheater, aber das ist genau das, was Richard Wagner für seinen Parsifal nicht wollte wie er König Ludwig II. in seinem Brief vom 28. September 1880 schrieb:

> Ich habe nun alle meine noch so ideal konzipierten Werke an unsere, von mir als tief unsittlich erkannte Theater- und Publikumspraxis ausliefern müssen, dass ich mich nun wohl ernstlich fragen musste, ob ich nicht wenigstens dieses letzte und heiligste meiner Werke vor dem gleichen Schicksale einer gemeinen Opernkarriere bewahren sollte ... <

Weiß das das Publikum?

Es hatte seinen Spaß an vielen Einzelheiten, die es geboten bekam.

Reicht das, um dem Bildungsauftrag gerecht zu werden?
 
   
 

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Um 'Missverständnisse' zu vermeiden:

Ich verstehe diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik
um der Kritik willen, sondern als Hinweis auf - nach meiner Auffassung -
Geglücktes oder Misslungenes.

Neben Sachaussagen enthalten diese Texte auch Überspitztes und Satire.

Hierfür nehme ich den Kunstvorbehalt nach Artikel 5, Grundgesetz, in Anspruch.


ML Gilles