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		Schafft sich das 
        Regietheater ab? 
        
        
         
        Wenn eine Theaterleitung einen Vertreter des Regietheaters engagiert - 
        das außerhalb Deutschlands voller Ekel als 'german trash theater' 
        bezeichnet wird - erwartet sie einen Skandal mit heftigen 
        Publikumsreaktionen, der dann für Presserummel sorgt. Dann hat der 
        Intendant sich mal wieder 'einen Namen' gemacht. 
         
        In München machte sich  
        
        Hans Neuenfels
        über Puccinis 'Manon' her. 
         
        1. Akt 
        Das Bühnenbild von  
        
        Stefan Mayer
        zeigt einen schwarzen Raum, das 
        Bühnenportal wird von einem Rahmen aus Neon-Röhren eingefasst - aha, wir 
        machen Kunst, keinen Naturalismus - Textauszüge aus der Novelle von Abbé 
        Prévost werden projiziert, was nützlich für das Verständnis der 
        Handlung ist, die Lücken aufweist. Puccini war mit keinem seiner vielen 
        - an dieser Oper beteiligten - Librettisten zufrieden. 
         
        Umso zufriedener konnte der Zuhörer mit dem Staatsorchester sein, das 
        unter der Leitung von  
        Alain Altinoglu ein wahres Feuerwerk an 
        Klangwundern entfaltete. Wie aber kann der zwar prachtvoll singende Chor 
        eine fröhlich, jugendliche Menge an einem heiteren Sommerabend 
        darstellen, wenn er von  
        
        Andrea Schmidt-Futterer
        in graue Overalls mit scheußlich ausladenden Gesäßen gezwängt wird?
          
        
		
        Seit der Zeit der alten griechischen Tragiker verkörpert der Chor die 
        Mitmenschen, denen sich dieser Regisseur wohl turmhoch überlegen fühlt, 
        denn im Bayreuther Lohengrin führt er sie uns als Rattenpack vor und 
        hier als - pardon - Ärsche , die auf dem Kopf rote Borstenperücken 
        tragen müssen. 
        Mit seiner Reitgerte fiedelnd (warum?) singt Edmondo - 
        
        Dean Power
        - 
        sympathisch klar seine Partie. 
         
        Il cavaliere Des Grieux erscheint im schmucken, schwarzen Samtanzug mit 
        adrettem weißem Hemd, - da hat er aber Glück gehabt, dass er nicht als 
        Clochard kommen muss! - und scherzt mit den schönen brünetten und 
        blonden Mädchen, die sich wie im Süden üblich hübsch aufgeputzt  auf 
        der Piazza zeigen, um mit jungen Männern anzubandeln. 
         
        Bei Neuenfels sind sie natürlich das Gegenteil: sportive, drahtige, in 
        blau-graue Trainingsanzüge verpackte Athletinnen, die ihre Gesichter in 
        Kapuzen mit vor dem Gesicht verschlossenen Reißverschluss verbergen - 
        warum? 
        
          
        
		
        
        Aber eigentlich wissen wir es ja: 
        die Gegenteil-Masche begann im Januar in Frankfurt 1981: 
        Aida, eine äthiopische Prinzessin - im 'Neuenfels-Gegenteil': eine 
        Putzfrau. 
         
        Aber der Unfug mag noch so blödsinnig sein, 
        
        Jonas Kaufmann
        singt und 
        strahlt alles weg! Eine Stimme mit den Qualitäten von Samt bis 
        Edelmetall, die alle Gefühlsnuancen mit so natürlicher 
        Selbstverständlichkeit ausdrückt, dass ich fortwährend bewundernd denke: 
        'Ja, genauso ist es!'  
        Und genauso agiert er auch. Von sanfter Zärtlichkeit bis zu wilder 
        Verzweiflung ist alles glaubhaft. 
         
        Die Handlung geht weiter: 
        die Musik kündigt eine Kutsche an. Statt vier kraftvoller Warmblüter 
         
        - die ja schwer auf die Bühne zu bringen sind - ist sie mit 
        vier zarten Jünglingen bespannt, die wie beim Trauerzug schwarze Federn 
        auf dem Kopf tragen. 
        Eigentlich gehören sie in die Operette. Ich wurde schon mal als Diana 
        von vier weißbefederten Tänzerinnen auf einem Wagen hereingefahren. 
        In München steigen aus: der wohlbeleibte Geronte mit prächtigem 
        Altherrenbass - 
        
        Roland Bracht, 
        der geschmeidige Bruder Lescaut - 
        
        Markus Eiche - 
        im bodenlangen, wehenden, schwarzen Chenille-Samt-Mantel - ein 
        beglückendes Bariton-Erlebnis den ganzen Abend lang. 
         
        Und dann begegnen 
        sich Des Grieux und Manon -
        
        Kristine Opolais 
        - langes, mittelblondes, eigenes Haar, attraktive Figur und eine 
        mädchenhaft helle, in allen Lagen gut geführte Stimme, die von zarter 
        Koketterie bis zum dramatischen Ausbruch alle Gefühlsregungen ausdrücken 
        kann.  
        Ihre weiße, konturlose Bluse, der brave schwarze Rock und die simplen 
        Schuhe verraten noch nichts von dem, was an Lebensgier in ihr steckt, 
        aber 'l'amour fou' bricht aus:  
        eine tödliche Krankheit. 
        Des Grieux bleibt allein zurück, und Maestro Puccini beschenkt uns mit 
        der ersten großen Tenor-Arie des Abends. Ein Meisterwerk an subtiler 
        Melodieführung, meisterlich gesungen von Jonas Kaufmann. 
        Der Geldgierige Bruder Lescaut erkennt seine Chance, arrangiert die 
        Flucht der Liebenden, wittert beim alten Geronte einen reichen Gönner, 
        während das Volk sich beim Kartenspiel amüsiert. 
        Natürlich nicht bei Neuenfels, der wieder ein Gegenteil demonstriert! 
        Da normalerweise Kartenspieler ihre Blätter sorgfältig abdecken, 
        erscheinen hier die Sport-Mädels mit leuchtenden Karten-Tablets. 
  
        
          
        
		
        
        Man mag nicht mehr hinschauen auf den Unsinn, sondern genießt das 
        fabelhafte Orchester, stellt sich das Stück in der eigenen Phantasie vor 
        und ist sauer, dass die Steuerzahler dafür aufkommen müssen. 
  
		
		2. Akt 
        Die schwarze Bühne zeigt ein Boudoir im Karl-Lagerfeld-Stil. 
        Ein Bett aus Metallrahmen mit schwarzer Bettwäsche, ein karger 
        Schminktisch und Standspiegel, Regale mit Kristallschalen, aus denen 
        Kristallketten baumeln, ein Plafond in Form zweier Vogelschwingen aus 
        Metallrohren (ein großes Lob für die hauseigene Schlosserei für saubere 
        Arbeit!) - das Ganze umgeben von schwarz lackierten Stühlen.  
        Eine 
        Heimstatt für Grufties! 
		
          
		Darin residiert Manon in einem so 
        perfekt-attraktiven schwarzen Hosenanzug, dass ich ihn mir für meinen 
        Kleiderschrank wünsche. 
        Die Anweisungen aus der Rokoko-Zeit für Schminke, Rouge, 
        Schönheitspflaster, Puder sind in diesem Ambiente natürlich unsinnig.
         
        Ein Geschäft witternd, verspricht Bruder Lecaut Manons Sehnsucht nach Des 
        Grieux zufriedenzustellen, den alten Geronte zu schröpfen, indessen er 
        den Cavaliere Des Grieux zu einem erfolgreichen Falschspieler machte - ein wunderbar gesungener, turbulenter 
        Dialog! 
         
        Fünf befrackte 'Prinzen Orlowski' treten auf, darunter Okka von der 
        Damerau, ihre Üppigkeit stark tailliert eingezwängt, und singen sehr 
        gepflegt das Madrigal mit dem in dieser Umgebung unpassend preziösen 
        Text. 
        Lescaut verschwindet, um Des Grieux herbeizurufen. 
         
        Der alte Geronte erscheint mit dem Tanzlehrer. Angehörige dieses 
        Berufszweiges sind dazu da, junge, ungelenke Leute Etikette und Eleganz 
        beizubringen. Aber es tritt mal wieder ein Neuenfels'sches Gegenteil auf: 
        Ein Steinzeitmensch - hübsch gesungen von Ulrich 
        Reß - die Zottelperücke tief in die Stirn geklebt, mit Kniehosen, 
        aus denen unappetitliche strubbelpelzige Beine ragen, von denen sich 
        Manon - ach, wie lustig -  ein Büschel abreißt, um damit zu spielen. 
        Man kämpft mit dem Würgereiz! 
		
          
		Der Herrenchor erscheint, um die 
        schwarzen Lackstühle zu bevölkern. 
        Die roten Bürstenperücken kennen wir schon. Jetzt tragen die wie immer 
        prächtig singenden Mannen als 'Abati' Kardinalspurpur. Die steifen 
        Zeremonialkostüme sind altjapanischen Würdenträgern abgeguckt. Man 
        tauscht Rokoko-Komplimente mit feinem erotischem Unterton aus, liest man 
        mal den gesungenen Text oder sogar die Novelle nach. 
		
          
		Währenddessen beknabbert Edmondo Manons rechtes Bein - hoffentlich ist 
        sie nicht kitzlig. 
        Die plumpe Purpurschar trollt sich endlich - und  
        'Tu, tu amore? Ah! mio 
        immenso amore?' -
        Jonas Kaufmann, Des Grieux, bricht herein.  
        Leidenschaft, Enttäuschung, Eifersucht und das Unverständnis für Manons 
        Hang zum Luxus gehen im Rausch unter. 
        Die beiden Protagonisten sind perfekt aufeinander abgestimmt, singen 
        hinreißend, keine Regie-Mätzchen stören, ja, so soll es sein! 
         
        Dafür aber stört der alte Geronte die beiden Liebesrasenden, eilt, sie 
        zu denunzieren.  
        Bruder Lescaut hetzt herein, spannend dargestellt und wieder perfekt 
        gesungen vom großartigen Markus Eiche.  
         
        Aber statt schnellstens vor den von Geronte alarmierten Soldaten zu 
        verschwinden, versucht Manon ihre Klunker zu retten. 
        Vergeblich!  
        Aus der Traum von einer Flucht mit Des Grieux. 
         
        Es naht ein Neuenfels'sches Gegenteil: 
        Statt finsterer Soldateska des absolutistisch-korrupten Systems sprintet 
        ein Sportverein flinker Bogenschützen herein, 
        was zweifellos eine Augenweide ist. Wozu das Wort 'arcier' im Text ein 
        Regieteam doch anregen kann! 
        Ei, ei - wie fein! 
         
        Manon kann sich von ihren Preziosen nicht trennen, wird abgeführt, 
        Bruder Lescaut hält Des Grieux zurück und sein Verzweiflungsschrei: 'O 
        Manon! O mia Manon!' ist so echt, das er mich tagelang verfolgt.  
   
		
			
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        Das Intermezzo: 
        Des Grieux's Einsamkeit und Verzweiflung. 
        Vorhang zu und Ohren auf! 
        Man hält die Luft an , um auch keine Schwingung des kostbaren Cellos zu 
        stören. Dann entfaltet das Staatsorchester, sensibel und liebevoll 
        angeleitet von Alain Antinoglu Puccini's Meisterwerk eines 
        Seelengemäldes so anrührend und aufwühlend, dass es einen Stein zum 
        Schmelzen bringt. 
        Bitte gleich noch einmal! Aber nein, Vorhang auf! 
         
  
		
			
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        Dritter Akt 
         
        Im Hintergrund eine hoch aufgehängte Folie mit eingebranntem 
        körpergroßem Loch, in das ein Steg aus dünnen Rohren führt. Rechts 
        hinten eine Öffnung mit Rolltor. Bruder Lescaut behauptet, Manon durch 
        Bestechung freizubekommen, was leider schiefgeht.  
        Sie erscheint im grauen Kittel, an Händen und Füßen gefesselt von einem 
        Sportschützen bewacht.  
        Des Grieux, sehr adrett im schwarzen Anzug, weißem Hemd, an jeder Hand 
        ein Ring. 
        Stürmisch besingen sie ihre Hoffnung 'fra poco' vereint zu sein. 
         
        Eine irre Gestalt turnt über das Gestänge des Stegs, grau 'verpackt', 
        die Ausbeulungen des Gesäßes sind geschrumpft, singt sein Liedchen von 
        Kate und dem Gold des Königs vor sich hin - es ist eigentlich nach dem 
        Willen der Autoren der 'Lampenanzünder' - Alexander Kaimbacher 
        mit zartem Tenor. 
         
        Die Flucht der Liebenden wurde entdeckt und nun muss sich Manon unter 
        die gefallenen Mädchen einreihen, um deportiert zu werden. 
        Das Volk - die 'Neuenfels'schen Ärsche' - klumpen sich als Masse im 
        Hintergrund zusammen, um Hohn und Spott über die armen Geschöpfe zu 
        gießen. 
		
          
		Die Verurteilten, deren Namen der 
        Sergente, Christoph Stephinger, verliest, sind eigentlich im Text sehr 
        unterschiedlich charakterisiert, aber im Neuenfels'schen Gegenteil gehen 
        sie im einheitlich grauen Kittel, die Gesichter mit einem Strumpf 
        überzogen.  
        Warum? 
        Bis nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges waren auch in Mitteleuropa die 
        Frauen gezwungen, zum Überleben sich entweder einem Ehemann 
        unterzuordnen, ins Kloster zu verschwinden - wie es ja für Manon geplant 
        war - oder sich zu prostituieren. Jeder schwadronierte von der 'Natur 
        des Weibes', aber keiner der 'Gelehrten' fragte sie selbst. 
         
        Manon soll also für ihre 'Verbrechen' nach Amerika deportiert werden, 
        aber Des Grieux will mit ihr gehen und auf sein Bitten und Betteln beim 
        Kapitän darf er als Schiffsjunge anheuern. 
		
          
		Im Elend vereint treten 
        sie die Reise an. 
         
  
		
			
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        Vierter Akt 
  
        Zwischen Abtransport im dritten und der öden Gegend im vierten Akt 
        besteht eine zeitliche Lücke im Libretto. 
        Während die Novelle schildert, dass Des Grieux und Manon es zu einem 
        gewissen Wohlstand brachten, aber ihre Attraktivität zum Mord an einem 
        Nebenbuhler und damit zum Verjagen der beiden in die Wüste führte. 
        Der Vorhang geht auf, der schwarze Bühnenraum ist völlig leer - nanu? 
        Stefan Mayer hatte die vorigen Akte mit funktional sinnvollen Aufbauten 
        bestückt. Hat denn der Regisseur sein sicher beträchtliches Honorar 
        gerafft und hat die Flucht ergriffen? 
        Zu sagen: "Leute, macht, was ihr wollt, ihr könnt es ja" - war wohl das 
        Beste! 
         
        Mit hohlen Klängen schildert das Orchester die Verlassenheit der beiden 
        Verfemten. Barfuß, Manon im ramponierten Hosenanzug, Des Grieux ohne das 
        letzte Hemd in Weste und Hose, tasten sie sich vorwärts. 
         
        Ja, und dann geschieht ein Theaterwunder, das ein so konzentriert 
        mitleidendes Publikum atemlos miterlebt, als sei es eins mit den beiden 
        Sänger-Darstellern. 
        Man spürt die echte kollegiale Sympathie von Opolais und Kaufmann in 
        Gesten voller Fürsorge und Zärtlichkeit. 
        Manons große Todesarie 'Sola, perduta, abbandonata', ein perfekt bis in 
        die höchsten Höhen geführtes Stimmorgan, ein bitteres Resümé eines von 
        der 'beltà funesta' ruinierten Lebens, der Aufschrei: 'No! non voglio 
        morir!' 
         
        Des Grieux's hoffnungslose Versuche, die Geliebte zu trösten - mit 
        soviel Wärme in dieser einmalig timbrierten Stimme, in der trainierten, 
        knabenhaften Gestalt, treibt die Tränen in die Augen, derer sich niemand 
        schämt. 
        Das ist die 'Katharsis' um derentwillen die Leute seit Jahrtausenden ins 
        Theater gehen. 
         
        Nach ein paar tiefen Atemzügen bricht ein dankbarer Jubel los, der alle 
        Mitwirkenden ehrt, das Orchester, den wundervollen Zauberer Alain 
        Altinoglu, feiert Kristine Opolais und Jonas Kaufmann, die auch im 
        Applaus zärtlich aneinander hängen, auf Wolken hebt. 
		
         
          
         
  
		An dieser letzten Szene 
        erkennen wir, dass Mätzchen überflüssig sind und sich das sogenannte Regietheater 
        hoffentlich bald abschafft. 
  
  
		
		  
				
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