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Marie-Louise Gilles
 


Bericht
'Die Walküre'
Repertoirevorstellung Staatsoper Hannover
am 20.06.2010
 

 
 
 
Ankündigung Staatsoper Hannover
   
       
  Die Walküre
Oper von Richard Wagner
Der Ring des Nibelungen

Ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend (1876)
Text vom Komponisten

Erster Tag: Die Walküre

Drei Akte
 
 
Ein Sturm tobt. Erschöpft von seiner Flucht sucht Siegmund Schutz im Hause Hundings, muss nach der Heimkehr des Hausherrn aber feststellen, dass er ausgerechnet bei seinem Verfolger Zuflucht finden wollte. In Hundings Frau jedoch entdeckt er nicht nur seine verloren geglaubte Schwester Sieglinde, sondern auch eine neu aufkeimende, alle moralischen Schranken brechende Liebe.

Dies kann die selbst ernannte Hüterin von Ehe und Moral, Fricka, nicht gut heißen. Und so folgt auf die überschwängliche Befreiung Sieglindes aus der quälenden Beziehung mit ihrem Mann Hunding ein bissiges Streitgespräch zwischen Wotan und Fricka, aus dem Fricka am Ende als Siegerin hervorgeht: Den Plan ihres Gatten, in Siegmund einen außerhalb von Wotans Regelsystem stehenden, freien Helden zu erschaffen, der den Ring wieder gewinnen könnte, ohne dass Wotan vertragsbrüchig würde, entlarvt Fricka als Selbstbetrug. Denn niemand anderes als Wotan selbst hat diesen Helden aufgezogen, unterrichtet und ihm obendrein noch ein mächtiges Schwert zugespielt. Zornig und zähneknirschend muss Wotan Frickas Forderung, den Ehebruch und die inzestuöse Liebe Siegmunds und Sieglindes zu sühnen, nachgeben.

Doch beeindruckt von Siegmunds Entschlossenheit, nicht von seiner ungewöhnlichen Liebe zu Sieglinde zu lassen, widersetzt sich Brünnhilde dem Befehl des Vaters und unterstützt gegen dessen Anweisungen Siegmund im Kampf gegen Hunding. Ihr Verrat wird hart bestraft: Schlafend und ihrer Göttlichkeit entledigt wird sie zum wehrlosen Opfer männlichen Begehrens.

Der Sturm, den das Vorspiel zu Die Walküre so eindrucksvoll schildert, tobt nicht nur in der Natur, sondern auch unter Hundings Dach. Fast wie ein Strindbergsches Beziehungsdrama erscheinen weite Teile von Wagners Walküre: Ein Fremder lässt die unterdrückte Glücklosigkeit der Beziehung zwischen Hunding und Sieglinde aufbrechen: »Nicht bringst du Unheil dahin, wo Unheil im Hause wohnt!« Von erbitterten Machtkämpfen ist hingegen die Ehe zwischen Wotan und Fricka gekennzeichnet.

Vom berühmten Walkürenritt mit seinen neun Walküren einmal abgesehen, ist Die Walküre im Grunde ein Kammerspiel, in dem die Beziehung zwischen Mann und Frau zumeist in Zweier- und Dreierkonstellationen durchdekliniert wird: Siegmund, Sieglinde und Hunding; Wotan und Fricka; Siegmund und Sieglinde und schließlich Wotan und Brünnhilde. Und wie schon in Das Rheingold sind Götter wie Menschen erneut Unbehauste: Der Schutz suchende Siegmund muss erkennen, dass Hundings Hütte nicht nur ihm keinerlei Schutz bietet, sondern auch den darin Hausenden eher ein Gefängnis denn ein Ort der Geborgenheit ist. Wotans Streit mit Fricka wird nicht etwa unter dem schützenden Dach des in Das Rheingold so feierlich bezogenen Walhall geführt, sondern irgendwo, zwischen Hier und Dort. Der einzige Moment der Ruhe in diesem Drama der Gehetzten scheint der Augenblick zu sein, in dem die von der Flucht erschöpfte Sieglinde in Schlaf fällt, beschützt vom liebenden Bruder. Aber es ist nur die Ruhe vor dem neuerlichen Sturm, der schließlich Siegmunds (und Hundings) Tod bringt und sich erst beruhigt, als Wotan die eigene Tochter mit einem Kuss in den strafenden Schlaf versenkt.

 

 

Regieteam

Musikalische Leitung Wolfgang Bozic
Inszenierung Barrie Kosky
Bühnenbild Klaus Grünberg
Kostüme Klaus Bruns
Dramaturgie Ulrich Lenz

Besetzung

Theaterpädagogische Angebote

Materialmappe

Einführendes Gespräch in das Stück

Probenbesuch

Gespräch mit Ensemblemitgliedern

Mit je zwei aus den vier Bausteinen kann ein ganz individuelles Opernpaket geschnürt werden. Weitere Informationen bekommen Sie unter 

Oper intensiv!
 

 
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  ’Die Walküre’ -
 Ein Proll-Musical
   
   
 

Wenn man die kunsthistorischen Epochenbegriffe seit Richard Wagners Romantik und Historismus in ihrer zeitlichen Dauer aneinanderreiht, bemerkt man, dass sie sich immer schneller ablösen.

Impressionismus, Symbolismus, Jugendstil, Expressionismus, Kubismus bis Pop-Art und dem heutigen - recht schwammigen - Begriff der Postmoderne als Gegenbewegung zur Strenge der Bauhaus-Moderne.

An der Rezeptionsgeschichte der Werke Richard Wagners kann man die Wechsel an Bühnenbild und Inszenierung ablesen. Entsprechend ratlos steht der Musikfreund vor den heutigen, modischen Produktionen, in denen uns Regisseure und Bühnenbildner ihre intimen Obsessionen darbieten, wobei es ihnen völlig gleichgültig ist, ob wir ihnen folgen.
Das 'Werk' ist nichts als Steinbruch und Stichwortgeber, wer sich auf seinen Wert beruft, erntet nichts als Spott.

Das Symposium, das Staatsoper und Musikhochschule am Mi., 9. Juni 2010, arrangiert hatten, bot Interessierten Gelegenheit mit Bühnenbildner und Dramaturgen der 'Ring'-Produktion von Kosky-Grünberg zu diskutieren und deren Denken kennenzulernen.

Und das geht so:
man nehme eine Oper, möglichst von Richard Wagner, denn die hat im Spielplan immer einen hohen Stellenwert und Produktions-Etat, fische eine Textzeile heraus und assoziiere.

Beispiel:
'Tristan' >> löse von der Welt mich los <<, also dreht sich das Kabuff auf einem Riesenrad montiert, in dem das Liebesduett im 2. Akt statt findet.
Die Sänger müssen also der Drehbewegung folgen.

Alles klar?
 
 

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Jetzt also 'Die Walküre' in Hannover.
Siegmund, als ziemlich depperter, junger Mann mit infantilen Zappelbewegungen angelegt:
Vincent Wolfsteiner - mit strammer, aber leider näseliger Stimme.

Sieglinde, ein verhuschtes, graues Hausmäuschen, erbarmungswürdig scheußlich gekleidet:
Kelly God - wunderschön leuchtend und beseelt singend.
Also Augen zu!

Hunding, gelehriger Schüler von so was wie 'Ekel Alfred', zeigt handgreiflich, was nach Meinung des Regisseurs die Weiber brauchen: Tritte in den Hintern, zerren, schubsen, Hiebe mit dem Ledergürtel:
Albrecht Pesendorfer singt dabei mit prachtvoll, gesundem Bass.

Wotan, ein mittelständischer Boss, auf Körperertüchtigung durch joggen und streching bedacht, umgeben von Bodyguards, Sekretärin, Sex-Protz, der aber wegen Ungehorsam seiner Elite-Truppe und Fehlspekulation in die Krise gerät:
Renatus Meszar, als Gast aus Weimar, stimmlich unauffällig, im Feuerzauber schöne Piano-Phrasen.

Brünnhilde, eine schwarz-lederne Rocker-Mieze, mit Totenkopf-Leibchen, das etwas länger über ihrem Popo hängen dürfte, glaubhaft in jeder Ausdrucks-Phase und jugendlichen Bewegungen:
Brigitte Hahn, herrlich, leuchtend, gesund, gekonnt, unermüdlich bis zu den letzten kräftezehrenden Kantilenen singend - na, gut, die Tiefe ist bei einem vom Lyrischen kommenden Sopran etwas schwach - aber, was soll's, Augen zu, dann ist sie die Perle des Abends! Bravissima!

Fricka, die hübsche Person trägt ihr gut geschnittenes aber scheußliches Orange-Fummelchen und die lila Schuhe mit Eleganz, auch hat der Regisseur aus ihr eine Zicke gemacht, für die kein Mann ein Auge opfern würde.
Bisher hielt ich (aus eigener Erfahrung) die Figur für die Vertreterin des Rechts, aber was kann man tun gegen den 'Verlust aller Werte'?
Khatuna Mikaberidze, singt mit ihrem Mezzo merkwürdig unausgeglichen, 'brockenweise' , so dass
eine geschlossene Gesangs-Linie nicht erkennbar ist und textunverständlich.

Die Walküren, eine Girlie-Gang, verstärkt durch durch - wie beim Anblick von 'Tokio-Hotel' kreischenden - Teenies, prächtig singend und wild gegen 'Papa Wotan' agierend, man merkt ihnen den Spaß an - so soll es sein!
 
 

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Zurück zu den kunsthistorischen Betrachtungen!

Wir leben im Zeitalter der Bilder, der Optik. Alles und jeder wird nach der äußeren Erscheinung beurteilt. Es gilt also aufzufallen! Models, Boxen-Luder, Sportler-Frauen hungern sich halbtot, bleichen die Haare, Anhänger der Gothic-Szene kleiden sich schwarz, Trash-Jünger bevorzugen hässliche, bunte Fetzen, die Intellektuellen gehen im Schmuddellook.
Wie also ist die postmoderne Bild-Welt von Kosky-Grünberg?

Richard Wagner wünscht sich für das erste Bild:
'Das innere eines Wohnraumes; um einen starken Eschenstamm, als Mittelpunkt, gezimmerter Saal. Rechts im Vordergrunde der Herd; ....' usw.

Wir sehen in Hannover einen Raum mit Fliegengitter-Schiebetüren nach hinten, im 'Garten' liegt ein Ball (vielleicht für eventuelle kleine Hundinge), Ausgang rechts, Ausgang links zu Bad und Schlafzimmer, Kunstleder-Sitzgruppe usw.
Statt Eschenstamm eine Beule an der Decke, aus der beim Herausziehen des Schwertes literweise eine glibberige Flüssigkeit fließt wie bei der Elefantengeburt.

Als zweites Bild wünscht sich Richard Wagner ein:
'Ein wildes Felsengebirge. Im Hintergrunde zieht sich von unten her eine Schlucht herauf.'

Wir aber sehen vor einem grauen Vorhang einen Steg mit Metall-Handgriffen, in der Mitte ein Treppchen.
Dort joggt Wotan, fliehen Siegmund und Sieglinde, erscheint die todverkündende Brünnhilde, die sich mit dem 'Zappel-Siegmund' 'auf eine Stufe' setzt, während bei der Schilderung von Walhalls-Wonnen eine rote Laterne erblinkt, um einen 'Helden-Puff' anzuzeigen.

Für den dritten Aufzug soll laut Richard Wagner folgende Szenerie gebaut sein:
'Auf dem Gipfel eines Felsberges. Rechts begrenzt ein Tannenwald die Szene. Links der Eingang einer Felsenhöhle ....' usw.
Wir aber sehen eine Tankstelle in weiß-rosa, 'tiefgründiges' Traum-Symbol für kurze Rast und Weiterfahrt.
Hier veranstalten die Walküren 'flashmob', fahren Autos nackte blutige Jünglinge herbei und versenkt Wotan seine Tochter in Schlaf, umgeben von etwas Benzin aus einem Zapfhahn und einem rosa Eimer.
Da die Feuerwehr wohl das Zünden untersagt hat, bleibt es beim 'Feuerzauber' bei einer kleinen Fackel, 'ein Flämmchen blau' wie in Marschner's 'Hans Heiling'.

Daran wird sich kein Eindringling verbrennen!
 

 

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An diesem Abend haben wir zweierlei für eine Eintrittskarte erlebt:

Bei geöffneten Augen und zugehaltenen Ohren ein zeitgemäßes Musical mit allen Klischees:
Prügelnder Ehemann, leidende, dusslige Zwangsehefrau, netter, etwas beschränkter Lover, fieser, arroganter, machtgeiler Boss, aufmüpfige Girlies, eine 'toughe' Außenseiterin.

Bei geschlossenen Augen erlebten wir eine wunderbare Musik von Richard Wagner, vorzüglich gespielt vom Staatsorchester unter seinem kompetenten GMD Wolfgang Bozic, dazu eine glänzende Sängerschar mit der Brünnhilde Brigitte Hahn als leuchtender Perle.

Höflicher Jubel für die Sänger und das Orchester, ratloses Gemurmel über das Gesehene - man muss ja mit der Zeit gehen.

Muss man ?
 
 

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