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Bericht

Richard Wagner
'Tristan und Isolde'

Theater Minden in Westfalen
Repertoirevorstellung
23.9.2012
 

 
 

Richard Wagner

'Tristan und Isolde'

oder

'Schmerzensmann und Märchenfrau'

Dem Wagner-Freund wird dringend geraten, diese fränkische Kleinstadt, die sich der Dichterkomponist zur Pflege seiner Opern und Musikdramen erkor, weiträumig zu umfahren.
Ebenso die großen Städte mit den von unseren sauer erarbeiteten Verdiensten und dann abgeführten Steuergeldern hochsubventionierten Theatern, sondern die versteckten Orte wie Erl, Baden-Baden, Minden aufzusuchen, wo mit Respekt Sachkenntnis und Einfallsreichtum, wenn auch mit unterschiedlichsten Budgets, die Werke zum Blühen gebracht werden.

Kein vernünftiger Mensch bringt sein Auto in eine KFZ-Werkstatt, wo es zu Schrott zerschlagen wird, noch isst er in einem Restaurant, in dessen  schmuddeliger Küche die Ratten umherlaufen.
Die deutschen Theater, einst von der ganzen Welt bewundert, haben sich seit den achtziger Jahren durch das unkontrollierte Tun selbsternannter Regisseure das traurige Etikett 'german trash theater' erworben, denn im Namen der 'Freiheit der Kunst' ist unter dem Aspekt einer 'modischen Inszenierung' auch die grausamste Verstümmelung erlaubt.

Während die Massen in die Pop-Arenen und auf die Bierfeste strömen, um sich im Kollektiv-Rausch zu vergessen, machten sich fünfzehn Mitglieder des RWV-Hannover auf, in die Stadt an der Weser mit ihrem imposanten karolingischen Dom.

Ein feines Theaterchen steht auch dort, allerdings zu klein, um im Orchestergraben die für den 'Tristan' erforderlichen Musiker unterzubringen - und das Gerücht war schon zu uns gedrungen, dass man dort aus der Not nicht nur eine Tugend, sondern etwas ganz besonders Schönes gemacht habe.

Auf der vorderen Bühne sehen wir zwei Boote, Kisten und einen Stuhl, Decken, Polster, ein paar Bücher. Auf der hinteren Bühne, durch einen Gazevorhang abgetrennt, die arenaförmige Sitzanordnung für Orchester und Chor.
 

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Die Musiker nehmen ihre Plätze ein, im Dunklen setzt sich Brangäne auf eine Kiste, näht geduldig und Isolde legt sich in ein Boot.
Die Chiffren genügen, um die Situation zu schildern.

Dass die Solisten vor dem Orchester singen, kennt man aus Oratorien- oder Symphonie-Konzerten.
Jetzt ist es auch mal in einer Oper der Fall - allerdings sei nicht Wernickes 'Elektra' in der Alten Oper Frankfurt mit einer ähnlichen Szenerie vergessen - und wir kommen in den direkten Genuss von Richard Wagners Klang-Künsten und seiner genauen Schilderung der seelischen Befindlichkeiten seiner Figuren.

Das ist das ganz besondere Erlebnis dieses Abends, ganz nah dran zu sein!

Auf der kleinen Spielfläche findet nun ein Kammerspiel statt, in dem die Sänger-Darsteller von Regisseur Mathias von Stegmann so sensibel und richtig geführt werden, dass man dankbar feststellt: Da ist einer, der den Text gelesen, die Musik gehört und in Aktion umgesetzt hat.
Mehr braucht man nicht, Wagners 'Tristan' ist ein Meisterwerk und spricht für sich selbst.

Im zweiten Aufzug sind die Boote hochgezogen und hängen drohend über der Szene.
Meine regisseurgeschädigte Sitznachbarin befürchtete Bomben zu erkennen, aber solche Mätzchen gibt es hier nicht.
Die rote 'Flagge der Liebe' steckt auf einem Paddel, Lichter mit sanftem Schein stehen auf dem Boden

Im dritten Aufzug sind die Boote zerstört, ein vermodertes Holzskelett hängt über dem Orchester.

Das alles ist gekonnt gezeigt - und es stimmt.

Die Kostüme von Frank Philipp Schlößmann sind an das 19. Jahrhundert angelehnt, typgerecht in Form und Farbe
Aber für den Tristan von Andreas Schager, der im ersten Aufzug wie Hoffmann aus den Erzählungen auftritt, hätte man doch wohl einen Mantel finden können, statt ihn immer nur wie auf der Probebühne in Hemd und Hose agieren zu lassen.

Das Sängerensemble erstaunt, es ist - wenn es schon immer hieß, 'die Qualität eines Hauses zeigt sich an der Besetzung der kleinen Partien' - sogar richtig gut.

Der 'junge Seemann' und der 'Hirt' werden von René Riemer sauber intoniert und mit beglückend knödelfreiem jugendlichen Buffo-Tenor gesungen. Er wird wohl ein herzerfrischender David und auch ein guter Evangelist sein.
Ebenso erfreulich der Steuermann von Sebastian Eger.
Mit kraftvollem Bariton stellt sich Thomas de Vries als 'Melot' vor. Schade, dass die Partie so kurz ist, aber dieser vielseitigen Persönlichkeit wird man sicher gerne wieder begegnen.

Der drahtig-attraktive Roman Trekel ist ja in jeder Rolle seines Fachs eine Klasse für sich. Mir sind sein aufgeregter, wichtigtuerischer 'Heerrufer'-Propagandaminister in einem ansonsten trüben und finsteren 'Bayreuth-Lohengrin' und sein anrührend, melancholischer Wolfram auch in Bayreuth unvergessen. Wenn er auf der Bühne steht, knistert es vor Spannung.
Als Kurwenal ist er aber auch klug genug, sich nicht unangenehm in den Vordergrund zu spielen. Seine Stimme trägt, weil sie gut fokussiert geführt wird, hat aber so viel Körperklang, dass sie nicht gequetscht klingt.

Das ist leider bei Ruth Maria Nicolay als Brangäne der Fall. Sie ist die treusorgende Gouvernante, aber die herrlichen Melodiebögen, die Richard Wagner ihr geschrieben hat, erreichen unsere Ohren mehr schneidend, statt schmeichelnd.

James Moellenhoffs König Marke ist eine imposante Erscheinung mit angenehm sattem Bass und findet in der Darstellung der Figur das rechte Maß an Gefährlichkeit und späterer Läuterung zur Güte.

Andreas Schager ist als Tristan völlig ungewohnt - ein schlanker, fast zarter Mensch mit gut sitzender - aus dem Lyrischen entwickelter - Stimme.
Unscheinbar tritt er ins Geschehen ein und entwickelt sich nach dem bei ihm wohl äußerst stark wirkenden Liebestrank zum Helden.
Im dritten Aufzug, dessen stimmliche Anforderungen Richard Wagner bis zur Folter trieb und manch berühmtem Tenor nur noch ein Flüstern abrang, wird Andreas Schager mit eisernem Wille zum Marathon-Mann, zum Zehnkämpfer, zum Ironman, aber auch zum Schmerzensmann, der uns zutiefst anrührt.
Bewundernswert und unvergesslich!
Hoffentlich bezieht er das 'lass mich sterben' nicht auf sich und gönnt sich genug Erholung.

Dara Hobbs ist der strahlende Mittelpunkt des Abends. Eine schöne Märchenfrau mit Charme, Eleganz und der Fähigkeit, alle Gefühlsnuancen von Koketterie bis zur Verzweiflung auszudrücken. Dank an alle, die mit ihr den ersten Aufzug sprachlich gearbeitet haben.
Da sitzt jeder Konsonant, jede Silbe, jedes Wort und sie weiß, was sie warum sagt.
Eine wirklich junge Isolde, die Tristan provoziert und richtig 'anmacht', so wie es im Text steht, aber die sonst so damenhaften Isolden kriegen das nicht hin.
Die großen Bögen gibt es dann im zweiten Aufzug.

Wunderbar wie durchsichtig und leicht die Nordwestdeutsche Philharmonie unter dem umsichtig, professionellen Frank Beermann den Sängern die vielen Konversations-Passagen endlich einmal - ohne unnötige Schwere auszuspielen - ermöglichen.

Die gesunde, leuchtende Stimme von Dara Hobbs wird sie in eine hoffnungsvolle Laufbahn bringen, zu der wir ihr von Herzen 'Alles Gute' wünschen.
Dass sie im Liebestod ein bisschen erschöpft war, wird sie mit wachsender Sicherheit noch ausbessern und so schreitet sie wie Isolde auf einem Lichtstrahl, nicht ins Nirwana, sondern in die Zukunft.

Beglückt von diesem wunderbaren Abend, den das Publikum der Tatkraft von Frau Dr. Jutta Hering-Winckler zu verdanken hat, fuhren die RW-Freunde nach Hannover zurück. Allen sei gesagt:
Augen auf!
Ohren auf!
Herzen auf!
Nach Minden in den 'Tristan' fahren.

 

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