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'Eine Mitteilung an meine Freunde'

Ausgabe Juli 2017

 

   
     Leserzuschrift
 
 

 


Liebe Frau Gilles,

gestern von einer längeren Auslandsreise zurückgekehrt beantworte ich gerne Ihre Anfrage. (Übrigens saßen in meinem Abteil zwei Hannoveraner, sehr kunstinteressiert, die ohne Unterlass auf den Hannoveraner Intendanten schimpften.“

(29.6.2017 – Herr K. aus L.)

 

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Kommentar

In einem Brief vom 6. Juni 2017 schreibt jemand aus der Verwaltung, wir zögen
“mit Halb- und Unwahrheiten wider besseren Wissens gegen den derzeitigen Intendanten zu Felde“.
Leider vermeidet der Schreiber, dem unsere ’Mitteilungen’ zugingen wie auch die Nds. Landesregierung, Erläuterungen abzugeben und zur Aufklärung beizutragen.
Ein Brief an die Nds. Landesregierung, hier ohne Anlagen wiedergegeben, hatte folgenden Inhalt:

 

 

                                                                  

Der Petitionsausschuss des Nds. Landtags möge Maßnahmen veranlassen, die sich - aus Klärung und erschöpfend Auskunft abgeleitet - ergeben:

 
● warum die Nds. Staatsoper Hannover durchschnittlich an nur
20 Tagen im Monat vor Publikum bespielt wird;

 

● wieso die Nds. Staatsoper Hannover mit Veröffentlichung in der HAZ vom 22. März 2012 behaupten kann, die Nds. Staatsoper Hannover entlasse “jeden Tag 1200 glückliche Menschen“, wenn denn die Auslastung des Hauses nur zu 100 Prozent erreichbar ist, wenn die Plätze zur Hälfte verschenkt werden?
Dies geschah jedenfalls bereits im Jahr 2014 für die Giovanni-
und die Meistersinger-Produktion.
Und es setzt sich bis heute fort, denn am 17. März 2017 war bei der Vorstellung Candide jedenfalls die Hälfte des Hauses über Freikarten gefüllt.
Von der jetzt laufenden Produktion ’Lot’ ganz zu schweigen;

 

● wieso das Nds. Ministerium für Wissenschaft und Kultur mit Schreiben vom 20. März 2017 ausführen kann, Herr Dr. Klügl habe Einnahmesteigerungen in Höhe von jährlich 1.500.000 Euro ’durch eine größere Nähe des Publikums zur Bühne’, wobei ’es aus künstlerischen
Gründen notwendig ist, den Rang zu sperren’, erwirtschaftet?

 

● auf welche Weise werden die Auslastungszahlen der Nds. Staatsoper Hannover errechnet?

Für den Monat Februar 2016 wurde per Mitteilung im Internet (Kopie des Vorgangs als Anlage) mit Bezug auf den Januar 2016, der mit 90 Prozent Auslastung angeben wurde, vorausgesagt,
der Besuchertrend scheine sich ungebrochen fortzusetzen. Bereits in den ersten Februartagen lege die Auslastung bei 80 Prozent.
Wie konnte eine solche Prognose abgegeben werden, wenn denn bereits bei Herausgabe des Spielplans im Dezember 2015 für den Monat Februar 2016 feststand, dass das Haus an 13 Tagen vor Publikum nicht genutzt wird. Belegt wurde das Haus dann an 16 Tagen mit 17 Vorstellungen vor Publikum?

Zu dem damaligen Zeitpunkt konnte man auch noch gar nicht wissen, ob nicht doch Ränge geschlossen werden müssen, um – wie auf Seite 3 des Schreibens des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 20. März 2017 ausgeführt - Kosten zu reduzieren, was den Rückschluss zulässt:
Je weniger Plätze zur Verfügung gestellt werden, desto größer ist das Einsparpotential an ’Einlass- und Sicherheitspersonal’ und ausschlaggebend für den wirtschaftlich positiven Betrieb der Nds. Staatsoper Hannover.
 

Legt man im Februar 2016 bei 17 Vorstellungen (1 x Doppelbelegung) an 16 Tagen 1.202 Plätze zu Grunde, so ergibt sich eine Anzahl von 20.434 Besuchern.
Die Gesamtkapazität liegt aber an 29 Tagen bei 34.858 Besuchern. Bei 13 Leertagen ermittelt sich hieraus eine Minderauslastung von 14.424 Besuchern, somit hätte allenfalls eine Auslastung von 58 Prozent - bei Nutzung aller verfügbaren Plätze - vorausgesagt werden können.

Es hat den Anschein, als gehe die Nds. Staatsoper Hannover von jeweils angebotenen Plätzen aus, nicht jedoch von vorhandenen.
Schließt man in Hannover die Ränge eins, zwei und drei und verkauft nur das Parkett, das dann voll belegt ist, so ergibt sich nach dieser Berechnungsart eine Auslastung von 100 Prozent.

Dies aber muss als Irreführung der Bevölkerung angesehen werden, da das Haus über wesentlich mehr als nur die im Parkett befindlichen Plätze verfügt.

Diesen Modus der Berechnung der Auslastung von ’verfügbaren Plätze’ nun mit Schreiben vom 20. März 2017 ’als Benutzungsgröße für Auslastungswerte’ vom Deutschen Bühnenverein zu deklarieren, bedeutet ja nicht, dass die Leitung der Nds. Staatsoper diesem Manöver folgt und die Bevölkerung über Auslastungszahlen täuscht.

Der Petitionsausschuss möge daher veranlassen, dass die Leitung der Nds. Staatoper Hannover Auslastungszahlen bekannt gibt, die auf den vorhandenen und damit möglichen Plätzen basieren und diese für die Berechnung und nicht nur die jeweils aktuell zur Verfügung gestellten Sitze zugrunde legt.

● Zur Erleichterung der Bearbeitung des Vorgangs ist das erwähnte Schreiben des Ministeriums für Wissenschaft und Kultur vom 20. März 2017 in Kopie beigefügt.

26. April 2017
Dieter Hansing

C/ Kanzlei RA Wahner, Königstraße 34, 30175 Hannover


Diese Anfrage wurde seitens der Nds. Landesregierung mit Schreiben vom 5. Mai 2017 dahingehende beantwortet, man solle sich zukünftig an die zuständige Stelle wenden.
Leider wurden keine Hinweise gegeben, wer die zuständige Stelle ist. So bleibt nichts anderes übrig, als den Nds. Ministerpräsidenten zu bemühen, denn der ist für alle Belange im Land – von VW als Mitglied des Aufsichtsrats bis zur Vergabepraxis von Aufträgen – zuständig.

So geht es ihn auch an, dass am 14. Juni 2017 bei der Vorstellung ’Macht des Schicksals’ wieder einmal der dritte Rang mangels Zuschauernachfrage geschlossen blieb und Rainer Wagner am 21. Juni 2017 in der HAZ im Bericht über ’Der fliegende Holländer’ klagte:
 

Beim letzten ’festlichen Opernabend’ dieser Saison
blieben doch bemerkenswert viele Sitze leer!


Jeder möge sich daher seinen eigenen Reim auf die Lage Nds. Staatsoper Hannover machen!

Quintessenz:

 

Was wir wollen!

 

Was wir nicht wollen!

 

 

 

Lebendiges,
phantasievolles Theater!

 

Indoktrinierendes Polittheater!

 

 

 

Verbindung zum Geist der Entstehungszeit!

 

Krampfhaftes Verheutigen!

 

 

 

Erkennbarer Bezug zur Zeit der Handlung!

 

Willkürliche Verfremdungen!

 

 

 

Ästhetische Bühnenbilder, die dem Stil der Musik entsprechen!

 

Müll bis zum Überdruss!

 

 

 

Sinnvolle, vom Stück getragende Bühnenbilder!

 

Unnötige aufwändige Bühnenbilder -
ohne Bezug zum Stück!

 

 

 

Kostüme, die den Charakter
der Figur wiedergeben!

 

Nackte Genitalien!
Sie sind inzwischen langweilig!

 

 

 

Respektvoller Umgang mit dem Werk!

 

Drüberstülpen von
’Neurosen der Regisseure!’

 

 

 

Dem Publikum einen
unvergesslichen Abend
im Sinne des Stückes bieten!

 

Das Publikum für überflüssig und blöd halten!

 

 

 

Förderung des Ensembletheaters

 

Stückverträge, die den Gemeinschaftsgeist im Ensemble und mit der Bevölkerung verhindern und beim künstlerischen Personal zu Einsparungen beim Grundgehalt wie auch bei Sozialleistungen führen!

 

 

 

Wichtig ist,

zu beachten, dass das Theater vom Geld der Steuerzahler lebt!

 

 

 

Wichtig ist,

dass das Theater im deutschsprachigen Raum, ein hohes Kulturgut darstellt!

 

 

 

Wichtig ist,

sich dem Zug der Zeit der Verdummung und Verrohung der Gesellschaft durch Sorgfalt, Bildung und wertschätzendem Umgang mit dem Werk und den Mitwirkenden entgegenzustellen!

 

 

 

 

 

Marie-Louise Gilles

 

 

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Nds. Staatsoper Hannover
Bemerkungen eines Vollzahlers zur musikalischen und szenischen Umsetzung von
Gaetano Donizetti – ’Der Liebestrank’ – Premiere am 3. Juni 2017

 

Wäre Richard Wagner der große Komponist geworden, ohne Theodor Weinlig?
Wer war Donizetti, wie wurde er, was er war?
Wäre er auch allein auf sich gestellt das geworden?
Hätte sich sein Talent auch Bahn gebrochen, ohne Simon Mayr?

Mayr, geboren am 14. Juni 1763 in Mendorf bei Beilngries - gestorben am 2. Dezember 1845 in Bergamo, war ein bayerischer Komponist, der zunächst Theologie an der Hohen Schule in Ingolstadt, der damaligen ersten bayerischen Landesuniversität studierte.

Die erste musikalische Ausbildung erhielt Simon Mayr von seinem Vater, der Organist in Mendorf war. Und so spielte der Sohn bald selber an eben der Orgel.

Thomas Freiherr de Bassus (1742-1815) zählt zu dem ersten und wichtigsten Förderern. Er erkannte das musikalische Talent und holte Mayr als Musiklehrer auf Schloss Sandersdorf. Von 1787 an ebnete er ihm den Weg in Italien, wo er Unterricht bei Carlo Lenzi und Ferdinando Bertoni, dem Kapellmeister an St. Markus in Venedig, erhielt.

1802 wurde Simon Mayr als Nachfolger seines Lehrers Lenzi der Leiter der Musikschule in Bergamo, den Posten bis zu seinem Tode 1815 innehabend. Er setzte sich für Beethoven in Italien ein und schrieb im Laufe seines Lebens 70 Musikwerke, die zum Teil noch heute gelegentlich gespielt werden.

Der größte Verdienst kommt Simon Mayr als Lehrer von Gaetano Donizetti zu, der in einem fensterlosen Keller Gaetano Maria Donizetti am 29. November 1797 in größter Armut als fünftes von sechs Kindern zur Welt kam. Ohne Aussichten für ein ertragsreiches Leben hatte er das Glück zur ersten Gruppe von Kindern zu gehören, die Simon Mayr in seine 1806 neue gegründete freie Singschule aufnahm, mit dem Bestreben, junge Stimmen auszubilden für Chöre und Soli. Auch damals herrschte Mangel an Tenören, derer Mayr sich besonders annahm.

Er glaubte an das Talent Donizettis und schickte ihn nach Bologna, wo er zwei Jahre Kontrapunkt und Komposition auf Kosten Mayrs studierte.

1817 kehrte Donizetti nach Bergamo zurück und erhielt durch die Mithilfe Mayrs einen Vertrag mit dem Impresario Zanda, für den er vier Opern komponierte.

Wie sehr Mayr um Donizetti bemüht war, zeigt die Situation als
er einen Vertrag für eine Oper für Rom zu schreiben hatte, diesen aber aus Zeitgründen nicht erfüllen konnte und ihn an seinen Schüler Donizetti weitergab.

Donizetti komponierte während seines Lebens auch Kirchen- und Kammermusik, neben komischen und tragischen Opern. Seine manisch-depressive Gemütsverfassung war mit den verarbeiteten Stoffen und den Todesfällen in seiner Familie in Zusammenhang zu bringen.

Innerhalb von acht Jahren verlor er seine Eltern, zwei Söhne, eine Tochter und seine Frau Virgina Vasseill, mit der er sieben Jahre verheiratet war und von deren Tod er sich seelisch nie richtig erholte.

Seine komische Oper ’Der Liebestrank’ war ein Text, den Eugène Scribe für Daniel Francois Esprit Auber und dessen Oper ’Le Philtre’ schrieb. Dieses Werk war am 20. Juni 1831 uraufgeführt worden.
Giuseppe Romani – der Haupttextdichter von Vincenzo Bellini - lernte das Stück anlässlich dieser Vorstellungsreihe in Paris durch den Bariton Henri-Bernard Dubadie kennen und verarbeitete das Sujet zu einem Text, den dann Donizetti in nur drei Wochen vertonte. Die Uraufführung fand am 12. Mai 1832 im Teatro della Cannobia in Mailand statt. Dort gab man das Werk dann 34 Mal in Folge.

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Donizetti musste das Werk zur Uraufführung relativ schnell komponieren, da der vorge-sehene Komponist es nicht rechtzeitig zum Uraufführungstermin vollenden konnte.

Er entschloss sich zu einer eigenen Oper, also nicht zur Fertigstellung des Werkes, das dem Kollegen Mühe bereitete.
Romani schrieb ihm den Text mit handwerklich gut gearbeiteten Szenen, nur wenige von denen tragen nicht unmittelbar zum Fortschritt der Handlung bei. In dem Stück gibt es nicht die üblichen Buffo-Elemente wie Verwechslungen, keine Späße, keine Intrigen, sondern eine Verquickung besonderer Umstände, Missverständnisse und einer psychologischen Entwicklung  der Hauptpersonen, was das ’lieto fine’ dann doch möglich macht.

’Der Liebestrank’, nicht unbedingt eine komische Oper, sondern durch die Konflikte der Protagonisten eher eine melodramatische Oper, die noch über Züge der Commedia del arte verfügt:
- der dumme Junge Nemorino
- die kecke, junge, intelligente – des Lesens fähige – Frau Adina,
- der Soldat Belcore als das banale Ideal,
- der verschlagene ’Arzt’ Dulcamara,
die in Kontrasten gezeigt werden, die sich auch in der Musik darstellen.

Was ist das Problem und wo ist das Problem?
Nemorino, der sich zwar seiner besonderen Art der Liebe zu Adina bewusst ist, nur es nicht ausdrücken kann.
Adina, die eine Liebe zu ’nur einem Mann’ ablehnt, da sie nicht an die wahre Liebe glaubt  und schon deswegen Nemorino nicht ernst nimmt, der auf seine lyrisch-romantische Art sogar bereit ist, sich ihr zu unterwerfen.

Der draufgängerische Macho Belcore passt schon eher in Adinas Beuteschema ein ihr zugeschriebenes – im Text abgewandelte ’Freundlich blick ich auf diesen und jenen!’.

Dulcamara, der reisende Quacksalber, bringt den von Adinas Lektüre der Geschichte um ’Tristan und Isolde’ erwähnten Liebestrank, den er Nemorino aufschwatzt.
Beherzt gesteht der nach dem Konsum desselben seine Liebe.

Sich gegenüberstehen eine Scheinwelt Adinas und die reale Welt Nemorinos.
Ein Wandel im Verhalten Adinas, der Ablehnung des dummen jungen Nemorino mit seiner wahren Liebe tritt erst ein, als sie geläutert durch das Verhalten Nemorinos das Wertvolle in dessen Liebe entdeckt, was ihre Oberflächlichkeit dann letztlich bei ihr in das Empfinden eines wahren Gefühls verändert.
Sein/Wahrheit konfrontiert Schein/Verstellung.

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Der Liebestrank
Oper von Gaetano Donizetti
Komische Oper in zwei Akten (1832)
Libretto von Felice Romani
In italienischer Sprache mit deutschen Übertiteln

Premiere der Inszenierung am 3. Juni 2017

Leitungsteam

Musikalische Leitung - Daniel Klein
Inszenierung - Tobias Ribitzki
Bühne - Florian Parbs
Kostüme - Rebekka Zimlich
Licht - Elana Siberski
Choreinstudierung - Dan Ratiu
Dramaturgie - Steffi Mieszkowski

Besetzung
Adina - Athanasia Zöhrer
Nemorino - Robin Kim
Belcore - Matthias Winckhler
Dulcamara - Tobias Schabel
Gianetta - Anna-Doris Capitelli

Chor der Staatsoper Hannover
Niedersächsisches Staatsorchester Hannover


 


Auf dem Opernplatz in Hannover feiern sich an dem Abend des 3. Juni 2017 die Schwulen und Lesben beim CSD mit Bier und Bratwurst, dazu wummernde Rockmusik, dass die Scheiben des Opernhauses scheppern.

Der Zuschauerraum füllt sich – 960 Karten sollen von den 1.202 verkauft worden sein – ob alle, die Geld für Karten ausgaben haben, wirklich kamen, blieb unklar. Sichtbar wurde, dass in den Rängen viele Plätze frei bleiben.

Vor dem roten Vorhang hängen aus Metall gefertigten Buchstaben: LIEBESTRANK.
Nun weiß man, welches Stück einem bevorsteht.
In der Einführung hatte Kapellmeister Daniel Klein mit wohlsortierten Beispielen am Klavier und mit CD-Aufnahmen über die Entwicklung der italienischen romantischen Oper von Rossini, Bellini, Donizetti bis Verdi informiert.
Ein schlampig gekleideter junger Typ, der Regisseur, meinte während des Einführungsvortrages mindestens 10-Mal, dass er diese und jene Szene ’sehr spannend’ finde.
Im Programmheft liest man viele gescheite Artikel über den Wahn der Liebe von der Antike bis zu heutigen Philosophen, alles ziemlich düster.
Aber ’L’elisier d’amore’ ist doch eine Komödie und man befindet sich, nachdem Napoleon 1821 von der Erde verschwand, in den ’goldenen Tagen der Bourgeoisie’ mit dem Bürgerkönig Louis Philipp in Frankreich.

Dann tritt eine äußerst lebhafte Dame – ohne zu sagen, wer sie ist – vor den Vorhang und verkündet vor der Vorstellung, dass der den Belcore singende Matthias Winckhler unter einer Pollenallergie leide – er würde aber trotzdem singen.
Bedauerlich eine derartige Unpässlichkeit für eine Sängerlaufbahn.

Statt während der Ouvertüre mit Donizettis zauberhafter Musik auf einen heiteren Abend einzustimmen, geht es gleich mit Klamotte los.
Aus dem vor dem Vorhang baumelnden Schriftzug ’LIEBESTRANK’ purzelt – ’Holterdiepolter’ der Buchstabe ’T’ herunter.
Jemand tritt in einem hässlichen, grauen Hausmeister-Krause-Kittel mit einem Gerätewagen zur Hand auf, der aus dem heruntergefallenen ’T’ ein ’K’ bastelt und dies in die verbliebenen Buchstaben einpasst, so dass der Zuschauer lesen kann: LIEBES-K-RANK.’ Beim Paukenschlag erschrickt der Monteur und enteilt in die rechte Gasse.
Der erste Lacher. Holdrio, how funny.

Dann hebt sich der Vorhang für die Nr. 1 -
Präludium und Introduktion
eine Mauer quer über die Bühne, ein Turm, ein Scheiterhaufen, und an der Kostümierung des Ensembles erkennt man:
Aha, man spielt Mittelalter, passend zu der von Adina vorgetragenen Sage von ’Tristano e Isotta’.
Turmbau, Scheiterhaufen, der Chor – er steht im Halbkreis und rührt sich nicht, gelegentlich macht er ein paar Tanzschritte – in grellbunten Satinkostümen, dazu bis zum Überdruss weiße schultütenähnliche Hauben mit dranhängenden Schleiern für die Damen.
Nemorino im Smoking für die Nr. 2 mit seiner Kavatine, er löst seine Aufgabe ansprechend mit Schmelz und lockerer Stimmführung.

Adina für die Nr. 3 – sie wechselt später zwischen einem hellblau-weißen Isolden-Kostüm und ihrem Unterhemd mit Leggins, was sie nicht sehr vorteilhaft aussehen lässt. Aber wir verheutigen ja und brechen ja herunter – platt und plump.
Athanasia Zöhrer hat eine schöne Stimme, die gut geführt dominiert, dass das gesellschaftliche Gefälle von ihr zu Nemorino auch über die Lautstärke deutlich wird.
Weniger Kraftentfaltung wäre angemessener. Adina muss nicht unbedingt die Violetta oder Lucia vorwegnehmen.
Die Mauer im Hintergrund öffnet sich seitlich und Belcore trabt mit einer umgehängten Pferdehälfte, die später ein weißes Klavier im Hintergrund ziert, (das Hannöversche Publikum applaudiert ob des genialen Regieeinfalls) für die Nr. 4
Kavatine und Stretta der Introduktion
herein, er entstiebt wieder durch die Mitte nach hinten, die Mauer schließt sich. Der Chor wimmelt planlos herum, die Mauer öffnet sich wieder und Belcore hat eine zweite Chance mitsamt umgehängtem Pferd.
Matthias Winckhler singt mit edel tönendem Bariton – Pollen mögen ihn zukünftig  verschonen – seinen Belcore. Der Chor steht im Halbkreis und rührt sich nicht, stört damit auch nicht das Bariton-Solo. (Rücksicht des Regisseurs oder Einfallslosigkeit?)
Mitten hinein platzt der Hausmeister-Krause-befummelte Mitarbeiter der Nds. Staatsoper Hannover – kann offensichtlich nichts ausrichten und entfernt sich.
Eine gut genutzte Chance bot sich Anna-Doris Capitelli als Nanetta, deren frische Begabung schon in der Hochschule auffiel.
Der Chor umeilt den links ’rauchenden’ Scheiterhaufen. Der Vorhang fällt und das Publikum applaudiert begeistert. Beifall für das Ensemble. Hierfür hebt sich der Vorhang wieder.
Die Mauer im Hintergrund wird nach links weggeschoben, der Scheiterhaufen ist weg, nur der Turm steht noch rechts und der wird von emsigen Bühnenarbeitern bei Adinas …
’appena è desta’ nach rechts in die Kulisse geschoben.
Nemorino mit Adina auf der großen Bühne für Nr. 5 - Rezitativ und Duett.

Völlig überflüssig die Passage und des Herumstehens des im Hausmeister-Krause-kostümierten Mitarbeiters mit Gerätewagen während des Zwiegesangs von Sopran und Tenor. Im Verlauf dessen verlischt das Licht auf der Bühne, nur ein Klecks von Verfolger-Illumination bleibt.

Fanfaren! Die Szene wird wieder beleuchtet, der Chor tritt auf für die Nr. 6. Er winkt ins Publikum und – so scheint es – besonders in den schwach besetzten dritten Rang.
Dann - der Bühnenboden öffnet sich, heraus tritt mitsamt Gerätewagen – der umherziehende ’Arzt’ feinst gewandet für die Nr. 7 - Kavatine mit Chor, der sich seitlich von ihm, links und rechts,  formiert und mal von links nach rechts und umgekehrt über die Bühne rennt.

Damit ist natürlich permanent Bewegung auf der Bühne. Alles swingt ganz im Sinne des Regisseurs. Die Versenke verschwindet, rechtzeitig tritt Tobias Schabel auf den sicheren Bühnenboden. Er zeigt einen eleganten Dulcamara, mit seiner wunderbar runden Stimme - der König des Abends.
Aus dem Bühnenboden werden Requisiten gereicht, es sind Lämpchen, mit denen der Chor im Takt hin- und herschwingend, den Rest der Szene schummrig beleuchtet.
Nemorino bleibt in einem Lichtkegel in sonstiger Finsternis zurück.

Für Nr. 8 - Rezitativ und Duett - wird von rechts der lädierte Turmbau nach links hereingefahren mit der undekorierten Seite nach vorne, so das es aussieht wie der Sprungturm eines geschlossenen Schwimmbades. Zusätzlich ein weißes Klavier, das rechts auf der Bühne positioniert wird.
Warum? Niemand kann es sagen! Jedenfalls im Publikum keiner.

Man wird sich handelseinig, Dulcamara wieder in der Hausmeister-Krause-Kluft übergibt den Bordeaux als Liebestrank, Nemorino ist glücklich und bleibt für die Nr. 9, das Rezitativ,
Caro elisir! Sei mio!
zurück.
Die Nr. 10 Adina von rechts und setzt sich an das für sie rechts bereitgestellte weiße Klavier.
Gelegentlich steht sie auf und bewegt sich gemäß den Vorgaben des Regisseurs auf der Bühne hin und her.
Nemorino singt sein
Esulti pur la barbara
Adina fällt mit ihrem
Spezzar vorria lo stolido
ein.

Für die Nr. 11 – das Terzett – erscheint Belcore von rechts hinten und setzt sich an das Klavier, da Adina den Platz frei machte, ist dies möglich. Sie gesellt sich zu ihm, die Szene belebt sich, von links kommt Gianetta mit einem Garderobenständer auf die Bühne und man beginnt sich auf die

Nr. 12 - Quartett und Stretta. Erstes Finale
vorzubereiten.
Adina wirft sich ein weißes Gewand über, von rechts tritt der Chor auf und man bemüht sich, musikalisch zusammenzubleiben.
Nemorino und Belcore zerren am Gewand der Adina herum, Chordamen schieben den Garderobenwagen nach hinten in die Mitte, Adina liegt in Belcores Armen, Nemorino kriecht im Smoking unter den beiden durch.
Für das
Quest’oggi
fallen beide auf den Boden, berappeln sich, der Chor steht regungslos im Hintergrund herum und schaut befremdet drein. Dabei singen alle hier sehr schön, also kein Grund, wegen der musikalischen Seite, irritiert zu sein.
Nemorino wegen der vorverlegten Hochzeit Adina/Belcore geknickt, kniet am Boden, der Chor freut sich auf
Un ballo! Un banquetto!
Adina und Belcore besetzen das rechts herangerollte Klavier zum
Finale erster Akt.

ZWEITER AKT


Nr. 13 - Introduktion und Chor,

dieser in Hab-Acht-Stellung im Halbkreis, dann wild wedelnd mit den Armen.

 Mittendrin im Volk Dulcamara für das
Cantiamoi, faciamo brindisi
Nemorino und Adina an der Rampe, Belcore tritt von links hinzu, Dulcamara gebietet Ruhe für sein
uditemi signori
Er bietet Adina seine Spitzhaube an, die diese gerne nimmt und aufsetzt. Nemorino verzweifelt im eigenen Lichtkegel des Verfolgers.
Dulcamara hebt an für

Nr. 14 - Rezitativ und Barkarole
Io son ricco, e tu sei bella
Der Chor steht weiterhin im Halbkreis und hebt nun rhythmisch im Takt sich bewegend die hängenden Arme zu einer sportlichen Morgenübung. Dann hebt der Chor einen Arm und wedelt damit, der Musik folgend, knickt auch ein. Reizend alles das anzusehen.

Nr. 15 - Rezitativ und Duett
Der Chor wuselt durcheinander, hat dabei natürlich Mühe, dem Dirigat zu folgen.
Im Hintergrund ein szenischer Effekt, bei dem man nicht weiß, was er bedeuten soll:
ein Wasserfall, ein Springbrunnen – niemand kann es sagen.

Nemorino in seinem Verfolgerkegel, Dulcamara hinzu – eine weitere Flasche des Liebestranks fordert der Tenor.
Oh, Me infelice!
Belcore tröstet den Armen und vermittelt ihm Aussichten, zu Geld zu kommen, wenn er sich als Soldat für
venti scudi
anheuern lässt.
Belcore lockt und schließlich willigt Nemorino ein, er will ja das Geld für Alkohol
Su due piedi

Für das
Qua la mano , giovinotto
wird das Licht eingezogen, es verbleibt ein bläulicher Schimmer und aus dem Bühnenhimmel senkt sich eine Art von Maibaum, von dem Belcore eine Art Ritterrüstung abnimmt und damit Nemorino einkleidet.
Der enteilt nach links, der Maibaum wird wieder hochgezogen, Belcore bleibt allein zurück, die Bühne in strahlendem Licht, hinten der Scheiterhaufen, vorne der Chor, nun wieder aufgetreten für

Nr. 16 - Chor
mit
Saria possibile?
Gianetta von rechts kommend verkündet dem Chor, der in einer Linie quer über die Bühne stehend – ’hinter vorgehaltener Hand’, dass der Onkel von Nemorino verstorben ist und der nun durch die Erbschaft ein reicher Mann sein wird.

Der Chor schmückt sich mit den Schultütenkopfbdeckungen und erwartet
Nr. 17 - Quartett mit Chor
mit
Nemorinos
Dell’elisir mirabile
 

Dann rollt der Chor den Scheiterhaufen in die Bühnenmitte, Adina von links, turbulente Situation.
Vorhang vor dem
Nr. 18 - Rezitativ und Duett


ADINA
(schmerzlich ergriffen, singt)
O wie geht er zufrieden!


DULCAMARA
(stolz)
Mir soll er's danken!

Der Schriftzug ’Liebeskrank’ wird heruntergelassen und man beginnt mit der Demontage. Die Buchstaben werden in den mitgeführten Werkstattwagen abgelegt.
Übrig bleibt LIEBE mit einem Fragezeichen, so ist das Duett mit Action gefüllt.

Dulcamara und Adina in verschiedene Richtungen ab für Nemorino mit der
Nr. 19 - Romanze

Heimlich aus ihrem Augenpaar, stahl eine Träne sich

Nr. 20 - Rezitativ, Arie und Duett
ADINA
Nemorino! Warum willst du fliehen?
Was konnte dich bewegen,
Die Waffen zu ergreifen?

NEMORINO
Ich sah, es würde nimmermehr
Mein Glück hier reifen


Nemorino will sich erschießen, aus dem Lauf der Pistole kommt zur Freude des Publikums ein Taschentuch, Adina und Nemorino entledigen sich überflüssiger Gewänder, sie die Isoldenkluft, er die Ritterrüstung - alles vor dem geschlossenen Vorhang. Gut für den Chor, der sich hinter dem Vorhang für das Finale positionieren kann.
Szenerie wie im ersten Akt, mit Turm, mit Stadtmauer, der Chor wieder in den mittelalterlichen Kostümen, Nemorino im Smoking und Adina in Leggins – ganz heute.

Dieses Publikum, das vor Begeisterung tobt, war gekommen, um sich ganz einfach grob zu amüsieren. Für die Anspruchlosen reichte es wohl, weil sie nicht mehr wissen, was Eleganz, Anmut, Delikatesse, Charme, Leichtigkeit sind.
Schlampig gekleidete Regisseure wissen es schon gar nicht, und die sollten sich auch nicht an einer Staatsoper ausprobieren dürfen.

Daniel Klein dirigierte das Staatsopernorchester allzu gemütlich, so dass viel ins Wackeln geriet. Begleitung, Finesse, Biss, Attacke – wie wäre es mal damit?

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Nachgefragt kulturjournal.de Nachgefragt

Im Gespräch mit Dr. Tanja Wagensohn - geboren 1970 in Straubing, Kindheit an der Donau, Studium der Politikwissenschaft, Germanistik Ostslavistik, zahlreiche Studienaufenthalte im Östlichen Europa, OSZE/ODIIIR-Wahlbeobachterin, Geschäftsführerin BAYIIOST Akademische Rätin, www.bayhost.de
 

Nichts ist wichtiger als Freiheit

Regensburg versteht sich als Drehscheibe zwischen West und Ost. Nicht nur wirtschaftlich, auch akademisch, wie die Einrichtung BAYHOST belegt. Mit Geschäftsführerin Dr. Tanja Wagensohn, die jüngst zusammen mit Maxim Gatskov die Essaysammlung "Revolution?!' über die beiden letzten Dekaden Mitteleuropa bis zum Kaukasus herausgeben hat, haben wir ein Gespräch geführt.

Was ist das BAYHOST (Bayerisches Hochschulzentrum für Mittel-, Ost- und Südeuropa) und was passiert dort?
BAYHOST ist für alle bayerischen Universitäten und Hochschulen für angewandte Wissenschaften; also die ehemaligen FHs, und alle Musik- und Kunsthochschulen Bayerns tätig, um die wissenschaftlichen Verbindungen zu den vergleichbaren Einrichtungen in Mittel-, Ost- und Sudosteuropa zu koordinieren die Kontakte zu intensivieren und auszubauen und gemeinsame Projekte und Programme durchzuführen und zu entwickeln. Konkret sind unsere Aufgaben die Vermittlung von Stipendien, das Organisieren von Sommerakademien und anderen Projekten, Intensivierung des Studentenaustauschs, Gewährung von Mobilitätsbeihilfen und Vermittlung von Praktika.
 

Politik, Kultur, Wirtschaft? Welche Felder decken Sie mit Ihrem Angebot ab? An wen wendet sich Ihr Service?
Studierende und Lehrende aller Studiengänge sprechen wir unterschiedslos an, eine Konzentration auf beispielsweise Sprachwissenschaften oder Wirtschaftsstudiengänge gibt es nicht. Ein Ziel ist zwar der Austausch mit Politik, Wirtschaft, Technik, Kultur, sozialen und umweltrelevanten Organisationen, in erster Linie aber geht es um den Austausch der Bildungsinstitutionen untereinander. Daher strengen wir durchaus Kooperationen mit Unternehmen und Organisationen an. Wir wollen Austauschforen schaffen. Wissenschaft und Studierende, die Hochschulen als Gesamtes in ihrem Bemühen um Renommee und Forschungskooperation zu unterstützen, ist eine unserer wichtigsten Aufgaben.
 

Wer sind die Akteure im BAYHOST?
Das Direktorium setzt sich zusammen aus Vertretern von Universitäten und Hochschulen in Bayern, im Beirat sitzen Vertreter des Staatsministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst, des Staatsministeriums für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie, des Studentenwerks, Vertreter akademischer Einrichtungen und der Stadt Regensburg. Aber unsere wichtigsten Akteure sind natürlich die Studierenden und die Lehrenden, an die sich BAYHOST wendet.
 

Sprechen Sie Polnisch? Russisch? Wie kommt's, dass Sie sich gerade für dieses Tätigkeitsfeld entschieden haben?
Ich spreche Russisch und Bosnisch/Kroatisch/Serbisch. Neben Politikwissenschaft habe ich Ostslavische Philologie und Germanistik studiert. Und ich habe 1989 Abitur ge­macht, im Jahr, als der Eiserne Vorhang fiel und die Grenzen sich öffneten. Die politische Umwälzung hat bei mir den Ausschlag gegeben und die Neugierde geweckt, das Terrain der jungen Demokratien zu studieren. Mein politisches Bewusstsein wurde in dieser Zeit geschärft. 1993 und 1997 habe ich in Russland studiert und geforscht, es war prägend.
 

Welche Mühe, eine slawische Sprache zu erlernen!
Wenn man sich einmal die Mühe macht und die Geduld aufbringt, Grammatik zu lernen und sich auf die Komplexität von Russisch oder Polnisch einzulassen, dann tut man sich mit den nächsten slawischen Sprachen schon leichter. Über die Sprache läuft alles. Verstehen ohne Sprache gibt es nicht. Für mich ist Sprache das zentrale Moment, Gesellschaften, ihre politischen Ideen, ihre Interessen zu begreifen. Unterschiedliche grammatische Konstruktionen, unterschiedliche Lexik lassen Rückschlüsse auch auf kulturelle Unterschiede zu.
 

Sehen Sie 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs noch Vorurteile, sind die Mentalitätsunterschiede noch gravierend?
Gravierend sind vor allem die Veränderungen. Es ist eine neue Generation herangewachsen, die im Wandel Geborenen werden mit anderen Dingen groß als die, die sich mit den alten Systemen arrangieren mussten. Alle jungen Leute in Ost und West haben die gleichen Bedürfnisse, sie wollen Spaß, sie wollen lernen, das Leben gestalten, das ist eine Gemeinsamkeit. Und sie haben viel nachzuholen: Nehmen Sie das Beispiel Serbien - nur etwa zehn Prozent der Bevölkerung dort besaßen in den vergangenen Jahren überhaupt einen Reisepass. Und jetzt erst fällt die Visumspflicht und u.a. die Jüngeren können endlich reisen. Gegenseitige Vorurteile werden zwar nur sukzessive, aber definitiv abgebaut.

Auf der anderen Seite: Je weiter weg wir von zu Hause gehen, desto größer auch die kultu­rellen Unterschiede. Ich war Wahlbeobachterin in Kirgisistan im letzten Jahr und ich habe gestaunt, wie anders Zentralasien ist, wie hoch der Einfluss aus China. Egal wohin man fährt, man lernt. Polen und Tschechien liegen uns näher als Russland, Ex-Jugoslawien ist uns vertrauter als die Lebensweise in der Ukraine. Diese Unterschiede bereichern, das Studium fremder Kulturen macht uns klüger. Und ich gehe davon aus, dass auch die Globalisierung nicht alle Unterschiede nivelliert.
 

Welche Rolle spielen religiöse und konfessionelle Unterschiede in Ihrem Hochschulalltag?
Religion wird oft von Cliquen dazu benutzt, bestimmte materielle Ziele zu erreichen und Machtansprüche zu zementieren. Ex-Jugoslawien ist dafür ein trauriges Beispiel. Mit Stu­dentenaustausch und verschiedensten Projekten mit und in der Region kann BAYHOST dazu beitragen, dass Schwadroneure keine Chance bekommen. Wir verstehen uns als Multiplikatoren und Anlaufstellen für alle Studierenden aller Länder, mit denen wir im Dialog sind. Konfessionen sind für uns irrelevant. Auch bei den Projekten mit Ländern des ehemaligen Jugoslawien. Der wissenschaftlich-studentische Austausch legt hier vielleicht sogar den Grundstein für Verständigung.
 

Befinden sich die Hochschulen im ehemaligen Ostblock auf Augenhöhe mit denen im Westen?
Das ist sehr abhängig von den Fächern. In den 90er-Jahren gab es im Osten viele private Universitätsneugründungen, viele davon sind wieder verschwunden. Es gibt sehr gute Universitäten und welche, die in die Mittelmäßigkeit abgerutscht sind. Naturwissenschaften und Philologie sind durchaus auf West-Niveau. In den Sozialwissenschaften gab es nach den Zeiten von ML (Marxismus-Leninismus) großen Nachholbedarf. Diese Fächer etablierten sich erst nach und nach. Und gerade deshalb würde ich Studierenden dieser Fächer empfehlen, sich das anzusehen. Spannend ist es, beispielsweise in St. Petersburg ein Gastsemester in Politologie zu belegen oder zu erfahren, welche Forschungsansätze junge Demokratien in Soziologie vermitteln und diskutieren.


Milliardengrab Osteuropa: Inwieweit hat sich nach der weltweiten Wirtschaftskrise die Zusammenarbeit mit Mittel und Südosteuropa geändert? Sind Veränderungen auch in der Zusammenarbeit der Hochschulen spürbar?
Generell stelle ich fest, dass den Studierenden in Ost und West weniger Geld zur Verfügung steht als früher, der Durchschnitt der Studie­renden ist wirtschaftlich schlechter gestellt als noch vor fünf, sechs Jahren. Den Austausch hat das zum Glück nicht tangiert. Wer ein Stipendium sucht, findet meist auch eins. Die Krise behindert die akademische Landschaft zum Glück noch nicht.
 

Nur wenn Sie antworten mögen: Können Sie das Engagement der BayernLB in Sachen Hype Alpe Adria verstehen? War der Crash nicht absehbar?
Der Crash ist eine Katastrophe, ja. Unabhängig von allem, warum es zu diesem Crash gekommen ist: sich als Konsequenz nun aus Südosteuropa zurückzuziehen, wäre aus meiner Sicht noch katastrophaler. Das sind die Märkte vor unserer Haustür, wenn wir uns dort nicht engagieren, können wir den Frieden in Europa nicht halten. Eine Abkehr von gemeinsamen Aktionen können wir uns gar nichts mehr leisten. Aktuelles Beispiel: Das Dilemma der Griechen - es geht uns alle an. Die Welt ist seit 1989 ziemlich kompliziert geworden.
 

Liegen Ihnen Paris, London oder Madrid kulturell nicht näher als Mostar, Minsk oder Moskau?
Ich kenne London, ich kenne Paris, mich zieht es aber eher nach Osten, nach Mostar oder Moskau oder Belgrad. Der Austausch ist spannender. Viele im Westen glauben, schon alles voneinander zu wissen, im Osten spüre ich mehr Neugierde, und ja, vieles ist auch „exotischer" als im Westen. Vor 1989 waren diese Länder für uns unerreichbar, umgekehrt der Westen für Mittel-, Ost- und Südosteuropa. Wenn nun die Visumspflicht für verschiedene Länder Südosteuropas entfällt, wird es wieder einen Schub der Verständigung geben. Ich stelle immer wieder fest, dass gerade Studierende aus dem Osten ein größeres Interesse an uns haben, sie wollen mehr über uns wissen und artikulieren oft, dass sie sich glücklich schätzen würden, hätten sie unsere Chancen. Geben sich viele Weststudenten abgeklärt, sehe ich bei denen im Osten mehr Wissensdurst und Begeisterung.
 

Einige Ostländer sind in der EU, andere nicht, wie beurteilen Sie diesen Umstand?
Die berechtigte Frage lautet oft: Warum dieses Land, warum die und wir nicht? Schauen Sie nach Kroatien, Serbien und Bosnien-Herzegovina - es ist ein Drama, dass die Kriege der 90er-Jahre diese Länder so zurückgeworfen haben. Sie gehören meiner Meinung nach definitiv in die EU, eher als andere, die schon drin sind. Für zentral halte ich das Moment, dass die EU nicht allein ein wirtschaftlicher Zusammenschluss ist. Die EU, das dürfen wir nicht vergessen, ist von ihrer Gründungsidee her eine Gemeinschaft, die den Frieden in Eu­ropa zum Ziel hat.


Ihr Beitrag in der jüngst erschienenen Essaysammlung Revolution?! ist gespickt mit Zitaten aus der englischsprachigen ’Revolution’ ist gespickt mit Zitaten aus der englischsprachigen Popmusik. Welche Rolle spielt Musik für Sie und für die Gesellschaft an sich?
Das Buch verbindet wissenschaftliche Aufsätze und Essays. Musik spiegelt immer auch die Gesellschaft, ihre Wünsche, Hoffnungen, Werte, Träume. Unser Buch nähert sich den Ereignissen der Jahre 1989 fortfolgende auch aus der durch persönliche Erfahrungen ge­prägten Reflexion. Popmusik spielte im Kalten Krieg eine große Rolle. In Liedern konnte man subtil Systemkritik üben, vieles in den Songs der Zeit hat die Zensur gar nicht erkannt.
 

Ist ’Revolution’ nicht ein schönes Wort?
Absolut! Stark und voll symbolischer Aufladung. Aber man beachte bitte das Frage- und das Ausrufezeichen. Wir haben uns gefragt: Was blieb von den Veränderungen? Für viele hat sich nach einer anfänglichen Begeisterung der Alltag - hat sich die wirtschaftliche Situation - nicht verändert im Vergleich zur Zeit des Sozialismus. Viele resignieren. Waren es Revolutionen? Und was ist mit der Freiheit? Nichts, nichts ist wichtiger als Freiheit.

Das Donauforum tagte in Regensburg, jeden Herbst findet die documenta statt. Befördern derartige Veranstaltungen das Ost-West-Klima?
Ganz gewiss. Sie sind wichtig, sie zeigen uns, was in Europa passiert, sie denken über den Ost-West-Gegensatz hinaus. Wir müssen nur konsequent aufpassen, dass wir bei der Fokussierung auf bestimmte Regionen nicht das jeweils übrige Europa aus dem Blickfeld verlieren. Neben dem von Ihnen angesprochenen Donauforum der Bayerischen Staatskanzlei veranstaltete auch BAYHOST am 21. Mai eine gleichnamige Veranstaltung, die dem Austausch von Wirtschaft und Wissenschaft dient - einen Kongress der Career Services der Donauländer und ihrer Nachbarn. Auch Berufsorientierung für Studierende ist heute eine gesamteuropäische Angelegenheit.
 

Haben Sie ein paar Lesetipps für einen lehr- und unterhaltsamen Blick in den neuen Osten?
Gerne. Zu Russland heute: Der Tag des Opritschniks von Viadimir Sorokin, eine schmerzhafte Satire, drastisch, brutal. Zum Russland der 90er-Jahre Generation P. von Viktor Pelewin, ein Roman über das Lebensgefühl der Generation, die im Sozialismus aufgewachsen und im postsowjetischen Russland erwachsen geworden ist. Und zum ehemaligen Jugoslawien: Aleksandar Tisma, Miljenko Jergovic, Biljana Srbljanovic, Dubravka Ugresic. Sie zeichnen Skizzen der Länder und Gesellschaften, von denen bei uns so viele viel zu wenig wissen.

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Kalenderblätter Juli
 

 

Thema des Tages

Gustav Mahler

    ... am 07. Juli 1860 geboren

Bevor Mahler nach Wien ging, war es dort mit der Hofoper schlecht bestellt. Jeder lebte nach seiner Bequemlichkeit und eine das Unternehmen gefährdende Disziplinlosigkeit riss ein.

Da berief man Mahler, als Opern-Chef aus Hamburg, dort als harter Arbeiter bekannt.

Seine Kontakte zu den damals maßgeblichen Produzierenden und Reproduzierenden von Musik und Szene, formten ihn.

Hans von Bülow, Richard Strauss, Bruno Walter, Felix Mottl, Hans Richter - und gelegentliche besondere Kontakte zu Rosa Papier oder Anna von Mildenburg, er kannte sie schon von Hamburg - und dann Alma, die seine Ehefrau wurde.

Sein Vater - Besitzer einer kleinen Schnapsbrennerei und Gastwirtschaft in Kalist, einer Kleinstadt in Mähren, profitierte vom 'Oktoberdiplom', mit dem Kaiser Franz Josef 1860 den Juden innerhalb seines Reiches Freiheiten einräumte, wonach sie sich auch in anderen als den jüdischen Ghettos in Teilen des Landes niederlassen durften. So ging Gustav in Iglau zur Schule und studierte dann in Wien.

Das Streben nach besseren Aufstiegschancen, das unbeirrbare Verfolgen eines Planes, in eine höhere kulturelle Schicht aufzusteigen, war ihm besonders eigen.

Dies wirkte sich auch bei der Leitung der Wiener Hofoper aus - Mahler strebte nach immer höheren Idealen. Einheit von Gesang und Darstellung war ihm wichtiger als die damals übliche Bühnendekoration, bis er mit Alfred Roller zusammenkam, der ihm die Szenerie schuf, die zu Musik und Text, eben der vorgebenden Handlung, passte.

Bei Mahler liefen alle Fäden einer Produktion zusammen. Er war Einstudierender, er war Dirigent, er war Regisseur - als Gesamtkünstler lieferte sein Produkt ab wie er es sich vorstellte.

Nur machte er diese Rechnung ohne die Wiener im Zuschauerraum. Man war etwas gewohnt und wollte es nicht aufgeben - Tradition, die Mahler als Schlamperei bezeichnete. Außerdem hätte es ja Arbeit bedeutet, der wollte man im Graben entgehen.

Er verzehrte sich an seinem eigenen Feuer, er machte seiner Umgebung das Leben zur Hölle und war so bei den Mitarbeitern binnen kürzester Zeit der bestgehasste Mann.

Die Ergebnisse seiner Leistungen aber waren überwältigend - jede Produktion unter seiner Leitung wurde zum Ereignis, diese grandiosen Erfolge ließen ihn taub werden gegenüber dem Geschrei in seiner Umgebung.

'Nebenbei' komponierte er noch 10 nummerierte Symphonien, dazu noch 'Das Lied von der Erde' und die 'Nordische Symphonie' aus dem Jahr 1882.
Hinzu kamen drei Opern und Lieder, die heute zum Sänger-Repertoire gehören.

Zehn Jahre hielt er in Wien durch - die musikalisch glanzvollste Zeit der Hofoper.

Dann gab er auf, wählte New York, dirigierte an der Met und kam als todkranker Mann nach Österreich zurück.

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Thema des Tages

Ida Ehre

 ... am 09. Juli 1900 geboren 

Neben Gustaf Gründgens beerdigte man sie auf dem Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg, nachdem die Tochter eines Kantors am 16. Februar 1989 in der Hansestadt gestorben war.

Prinzipalin der Hamburger Kammerspiele war sie, die sie 1945 gründete.

Das Schauspielen erlernte sie an der Akademie für Musik und darstellende Kunst in Wien, das Debüt folgte am Stadttheater Bielitz, danach spielte sie in Budapest, Czernowitz, Cottbus, Bonn, Königsberg, Stuttgart und am Nationaltheater in Mannheim. Ab 1930 war sie am Lessingtheater in Berlin engagiert.

Die Nazis verboten ihr die Auftritte, sie arbeitete darauf in der gynäkologischen Praxis ihres Mannes in Böblingen als Helferin.

Die Flucht nach Chile gelang Ida Ehre nicht. Das Schiff, auf dem sie sich schon bei den Azoren auf dem Weg nach Südamerika befand, musste 1939 nach Kriegsausbruch umkehren.

Die Gestapo verhaftete sie und brachte sie zur Internierung ins KZ Fuhlsbüttel. Frei gelassen wurde sie, da ihr Mann seinen Schulfreund Heinrich Himmler einschaltete.

An den Hamburger Kammerspielen spielte sie selber viele Rollen – die Glanzpartie war die Anna Fierling in Brechts 'Mutter Courage' - sie führte Regie.

1947 produzierte sie die Uraufführung von Borcherts 'Draußen vor der Tür'.
1994 inszenierte der damalige Oberspielleiter Schauspiel, Rudolf Zollner, im Theater am Haidplatz in Regensburg das Stück mit Tiedemann, Heuberger, Sowa und Christiane Motter
.


Über ihr Engagement am Theater Regensburg liegt in ihrer Biographie, veröffentlicht im Internet, ein tiefes Schweigen.
Die Produktion ging mit dem unvergesslichen Satz in die Geschichte ein: “... und die Suppe ist auch kalt“.

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Thema des Tages

Carl Orff

  ... am 10. Juli 1895 geboren

Er war eigentlich Autodidakt, seine ersten Werke veröffentlichte, bevor er überhaupt eine musikalische Grundausbildung erhalten hatte - spielte aber seit seinem fünften Lebensjahr Klavier.
Aus 1913 stammte sein erstes größeres musikalisches Werk: 'Gisei, das Opfer.'

Sein Schulwerk - in der Zeit von 1930 bis 1935 entstanden – die Ausbildung von Kindern ist eines seiner beherrschenden Themen.

Für die Nazis war er gottbegnadet, was dazu führte, dass er öffentliche Auftragsarbeiten erhielt, so 1936 eine Komposition 'Olympischer Reigen'.

1937 fand die Uraufführung der 'Carmina Burana' statt, die er seinem Verleger gegenüber so kommentierte:
Alles, was er vorher geschrieben habe, könne man nun einstampfen.

1939 schrieb er im Auftrag der Stadt Frankfurt am Main eine Ersatzmusik zum 'Sommernachtstraum', da Mendelsohn nicht mehr gespielt werden durfte.

Nach offiziell unbestätigten Informationen soll er ab 1941 durch Baldur von Schirach finanziell unterstützt worden sein.

Wie Wagner hatte Orff das Gesamtkunstwerk als Ziel.
Die szenische Darstellung von Oratorien interessierte ihn schon früh sehr, so begann er mit der Lukas-Passion, diese auf die Bühne zu bringen.
Wichtig sind - neben den eigenen Werken - die Monteverdi-Bearbeitungen.

Das Theater Regenburg spielte die 1947 uraufgeführte Orff'sche 'Bernauerin' im Hof des Regensburger T&T-Schlosses in einem Arrangement, das seinesgleichen suchte.

 

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Thema des Tages

Kirsten Flagstad

  ... am 12. Juli 1895 geboren
 
 Sie begann 1913 als Nuri in 'Tiefland' und wurde über Tosca, Minnie, Amelia, Aida,

Desdemona zu dem hochdramatischen Wagner-Sopran der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts.

Mit 37 Jahren sang sie ihre erste Isolde, 1933 und 1934 war sie in Bayreuth Ortlinde und dritte Norn, dann dort Sieglinde und Gutrune.
 
Die Met war nach dem ersten Weltkrieg mit Wagner vorsichtig, erst 1924 gab es wieder einen 'Ring' in New York.
Bis 1933 war Frida Leider dort die Sängerin für Wagner-Partien, die aber inakzeptable Forderungen stellte, dass nach Ersatz Ausschau gehalten werden musste.
 
Bei einem Vorsingen der Flagstad im Sommer 1934 für die Met in einem Hotel in St. Moritz schikanierte sie der Korrepetitor und auf seine Frage, ob sie 'die Rufe' könne, legte sie los, dass Hermann Weigert, der spätere Mann von Astrid Varnay, beinahe von seinem Klavierhocker fiel.
 
Am 2. Februar 1935 sang sie Sieglinde, dann Isolde und Brünnhilde und brachte der Met hohe Einnahmen, die gerade nach der Wirtschaftskrise lebensnotwendig für das Institut waren, die Lyric Opera in Chikago war gerade in Konkurs gegangen.
 
Nach der Okkupation Norwegens durch die Nazis 1941 kehrte sie erst 1947 auf die Bühne zurück, hatte in Amerika Probleme, akzeptiert zu werden, da man behauptete, sie sei mit Hitler befreundet gewesen.
 
1950 kam es dann zu einem neuen Vertrag, 1952 sang sie an der Met ihre letzte Vorstellung als Alceste.
 
80 Partien hatte die Flagstad 'drauf' - die sie in mehr als 2.000 Vorstellungen sang, nicht gerechnet die Konzerte.

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Thema des Tages

König Friedrich I.

   ….am 11. Juli 1657 als drittes Kind des Ehepaares Friedrich Wilhelm von Brandenburg und Louise Henriette von Nassau-Oranien geboren, somit in der dritten Position der Thronfolge.

Da aber der Erstgeborene, Wilhelm Heinrich, wie auch der Zweitgeborene, Karl Emil, sehr früh starben, war er derjenige, der als Kurprinz nach dem Tod seines Vaters, des 'großen Kurfürsten', am 9.5.1688 die Nachfolge in Brandenburg anzutreten hatte.

Die Entwicklungen um sein Land herum zeigten eine Aufwertung seines Vetters Wilhelm III. von Oranien im Westen, der ab 1689 König von England, Schottland und Wales wie im Süden wo 'August der Starke' 1697 König von Polen wurde. Und im Westen stieg schon 1654 ein Mitglied des Hauses Pfalz-Zweibrücken zu Karl X. – König von Schweden auf.

So strebte auch er - damals noch Friedrich III., Markgraf von Brandenburg, Erzkämmerer und Kurfürst des Heiligen Römischen Reiches und souveräner Herzog in Preußen - seine 'Beförderung' an, was ihm im Rahmen der Erbkämpfe um Spanien auch gelingen konnte.

Er stellte nämlich dem Kaiser, Leopold I., 8.000 Mann brandenburgische Truppen zur Verfügung, als Ludwig XIV. nach der Krone auf der iberischen Halbinsel zu Gunsten seines Enkels, des Prinzen Philipp von Anjou, greifen wollte, die aber nach Meinung des Kaisers den Habsburgern zustand.

Unter dem Aspekt, dass der 'deal' zustande kommen würde, erhoffte sich allerdings die katholische Kirche im Rahmen der zu erwartenden Königswürde, dass Brandenburg sich vom Protestantismus lösen und wieder in den Schoß der Heiligen Römischen Kirche zurückkehren würde - dazu aber war Friedrich nicht bereit - auch unter eventueller Hintanstellung seines Wunsches, ein König zu werden..

Am 18.Januar 1701 war es dann soweit, in Königsberg setzte sich Friedrich selber die Krone aufs Haupt - wie 103 Jahre später Napoleon in Paris - und ließ sich erst nach dieser Zeremonie von Bischöfen segnen, die er eigens für diesen Zweck ernannte.

Trotz dieser Änderung der Reihenfolge in der Prozedur war ihm damit die Königswürde von Gott gegeben. Er nannte sich nun Friedrich I., König 'in' Preußen.

König 'von' Preußen war nicht möglich, da Teile des Landes noch unter polnischer Hoheit standen.
Erst 1777 - also zur Regierungszeit von Friedrich II. – fiel auch der so genannte Netzedistrikt an Preußen, so dass damit der Titel 'König 'von' Preußen' geführt werden durfte.

1684 hatte Friedrich in Hannover-Herrenhausen Prinzessin Sophie Charlotte von Hannover, geb. 1668, gest. 1705, geheiratet.

Das 3. Kind aus dieser Verbindung war 1688 Friedrich Wilhelm, der als König Friedrich Wilhelm I. von Preußen - als Soldatenkönig - auf die Geschichte Einfluss nahm.

1712 ging aus dessen Ehe mit Prinzessin Sophie Dorothea von Hannover der Sohn Friedrich, der später ’der Große’ genannt wurde - hervor.


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Thema des Tages

Emil Jannings

   ... am 23. Juli 1884 geboren 

Nach einer Anfängerlaufbahn an deutschen Provinztheatern kam er nach Berlin und meinte, so wie andere Kollegen, ein leichtes Geld mit der Filmerei in deren Anfängen ohne Ton verdienen zu können.

Harry Piel war einer der ersten Produzenten, wobei es sich in der Hauptsache um Kurzfilme handelte. Den so genannten Durchbruch erzielte er mit der Rolle des Frosch in einer Verfilmung der 'Fledermaus'.
 
Bei der UFA folgte 'Madame Dubarry', in der Jannings den französischen König Ludwig XV. in der Regie von Ernst Lubitsch spielte.
Es folgte 'Anna Boleyn' mit Jannings als Heinrich VIII. - dieser Film verhalf ihm zum Sprung nach Amerika. Beide Filme liefen wochenlang in New York.
Der von der Paramount geplante Film 'Peter der Große' stimmte in Bezug auf die Hauptrolle nicht mit der Auffassung der Amerikaner überein - jenseits des Atlantiks wollte man einen gefälligen russischen Zaren, keinen bärbeißigen Wilden.
 
’Das Weib des Pharao' schloss sich als neues Projekt an - man drehte mit Paul Wegener, Albert Bassermann - aber das Opus gefiel nicht sonderlich.
Dann kam 'Nju' mit Elisabeth Bergner - 'Tartüff' mit Werner Krauß und Lil Dagover - 'Quo vadis' mit ihm als Nero geriet zu einem Schinken.

Hollywood war dennoch interessiert und so spielte er in 'The Last Command' im Jahr 1928 von Josef von Sternberg. Emil Jannings gewann für seine Darstellung in dem Film sowie für die Leistung in 'The Way of All Flesh' den ersten Oscar überhaupt als bester Hauptdarsteller.
 
1930 folgte in Deutschland nach dem blauen Engel als Tonfilm 'Liebling der Götter', 'Der alte und der junge König' - Die Geschichte Friedrichs des Großen, dann nach Hauptmanns Thema 'Vor Sonnenuntergang' - der Film mit dem Titel 'Der Herrscher', 'Robert Koch' mit ihm in der Titelrolle und Werner Krauß als Virchow.
 
Mit 'Ohm Krüger' wollten die Nazis die Engländer an den Pranger stellen, mit dem Hinweis, die Briten hätten in Südafrika die ersten Konzentrationslager gebaut.
 
Auf DVD heute noch erhältlich, die Verfilmung von Kleist's 'Der zerbrochne Krug' mit Elisabeth Flickenschildt als Frau Brigitte, Max Gülstorff als Licht und Angela Sallocker als Eve. Lina Carstens war Frau Marthe.
 

1942 führte Wolfgang Liebeneiner Regie in dem Film 'Die Entlassung' - die Situation von Wilhelm II. und Bismarck beschreibend mit Werner Krauß als Holstein und Werner Hinz als Wilhelm II..

Die Nähe zum Nazi-Regime brachte ihn nach Ende des Krieges in Schwierigkeiten. Die Alliierten belegten ihn mit einem Arbeitsverbot.
 
Sein Lebensbericht war schon 1939 fertiggestellt, blieb aber bis 1951 - also ein Jahr nach seinem Tod - unveröffentlicht, weil vom Verlag Änderungen vorgenommen wurden, die von Jannings nicht akzeptiert werden konnten.

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Thema des Tages

Die Macht der Gewohnheit

 ... am 27. Juli 1974 uraufgeführt

War Thomas Bernhard fixiert auf Peymann und Minetti?

'Der Weltverbesserer' in Bochum mit Minetti und Edith Heerdegen, 'Minetti' mit Minetti und auch 'Die Macht der Gewohnheit' mit Minetti als Caribaldi.

Wie er im 'Weltverbesserer' Trier oder Interlaken als nicht akzeptabel vorführt, so gerät in der 'Macht der Gewohnheit' die Stadt Augsburg in die Kritik.
Er sprach von einem 'muffigen verabscheuungswürdigen Nest, dieser Lechkloake'.

Man wollte dort nicht derartig abqualifiziert werden und die Stadt entschloss sich, gegen TB und sein Stück juristisch vorzugehen. Der damalige Oberbürgermeister wies sein Rechtsreferat an, zu prüfen, welche Schritte gegen TB und sein Stück unternommen werden könnten. Selbst der Bayerische Ministerpräsident sollte helfen.

Der Text wurde nicht geändert, noch heute heißt es: 'Morgen Augsburg!'
Man möge sich in der 'Lechkloake' keine Gedanken machen.

In seinem 'Meine Preise' schreibt Thomas Bernhard über Regensburg:
 


"Die Stadt gefiel mir nicht, sie ist kalt und abstoßend ... Wie hasse ich diese mittelgroßen Städte mit ihren berühmten Baudenkmälern, von welchen sich ihre Bewohner lebenslänglich verunstalten lassen ... Salzburg, Augsburg, Regensburg, Würzburg, ich hasse sie alle, weil in ihnen jahrhundertelang der Stumpfsinn warmgestellt ist."
 

Am BE lief eine Peymann-Inszenierung der 'Macht' mit Jürgen Holtz, der sich als 'Motzki' von Wolfgang Menge einen bestimmten Namen machte.
 

 

 
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Plädoyer für das Ensemble-Theater

Seit Jahren wird leidenschaftlich über das Ensemble-Theater gestritten. Die sozialen Interessen von Künstlerinnen und Künstlern geraten dabei leicht in Vergessenheit.
 

In den zurückliegenden Jahrzehnten haben die öffentlich getragenen Theater mehr als 6.500 Stellen abgebaut. Im gleichen Zeitraum stieg die Anzahl der Gastverträge von etwa 8.000 pro Jahr auf über 20.000. Die Zahl an Festengagements hat also abgenommen und das, obwohl die Zahl der interessierten Bewerberinnen und Bewerbern eher zugenommen hat. Eine beängstigende Situation vor allem für jüngere Theaterschaffende. Gleichzeitig steigt die Arbeitsdichte: Mit immer weniger Geld müssen immer mehr Aufführungen gestemmt werden. Der Druck nimmt zu, die Ensembles sind überlastet.

Vor diesem Hintergrund ist in wiederkehrenden Wellen von einer hausgemachten Theater-Krise die Rede, bei der einen gelegentlich das Gefühl des herbeigesehnten Systemsturzes überkommt zu Lasten der Künstlerinnen und Künstler. Unberücksichtigt bleibt nämlich, dass Veränderungsforderungen, wenn sie unausgegoren sind, letztlich den wohlerwogenen Interessen der Beschäftigten zuwider laufen können. Am Ende sollte es keine Frage sein, ob Theaterschaffende mit dem Festengagement sozial und tariflich abgesi­chert oder als Gastiertruppe unsicheren Zukunftsaussichten und Lohndumping ausgesetzt werden sollen. Wir wollen nicht in die Zeiten der Neuberin zurück. Die GDBA kämpft deshalb in der mal wieder laufenden Debatte für das Ensembletheater und die Künstlerinnen und Künstler, die sich gelegentlich als Fortschrittsverhinderer hinstellen lassen müssen. Unter anderem theoretisierende Kulturmanager konstruieren eine Alternative zwischen einem Engagement in einer angeblich „wilhelminisch geprägten Hierarchie oder als kreativer Unternehmer" - als gebe es wahre Kunst nur um den Preis sozialer Bindungslosigkeit. Joachim Lux vom Hamburger Thalia-Theater spricht von „halbgaren Unternehmensberatern".
 

ANGRIFFE VON VERSCHIEDENEN SEITEN

Im Spannungsverhältnis stehen aber tatsächlich auf der einen Seite diejenigen, die mehr soziale Sicherheit für die Künstlerinnen und Künstler sowie stärkere Regulierung fordern und auf der anderen Seite jene, die mehr und angeblich bisher nicht vorhandene kreative Freiheit verlangen - wobei letzteres von einigen wenigen Altvorderen als Konzept ausgegeben, in Wirklichkeit aber bloß als Ausrede für ihre eigenen Unwillen zu vernünftiger Planung genutzt wird. Vollends unübersichtlich aber wird die Debatte, wenn beide Argumentationen von denselben Personen vorgetragen werden.
 

Im Wesentlichen unbestritten ist eigentlich nur, dass das flächendeckende Ensem­bletheater ein Unterscheidungsmerkmal der deutschsprachigen Theaterlandschaft gegenüber den allermeisten Ländern in Europa und darüber hinaus war und ist. Eben so klar müsste aber auch sein, dass das Ensembletheater mit seinem Festengagement ein bis dahin unbekanntes Maß an sozialer Sicherheit für die künstlerisch Beschäftigten gebracht hat. Trotzdem wird die Institution von verschiedenen Seiten angegriffen, die sonst nicht viel miteinan­der gemein haben.
 

Fragt man Theaterbeschäftigte, dann kommen schon mal ungewöhnliche Vergleiche. Der Schauspieler Peter Brombacher etwa spricht gegenüber der lnternetplatform des Goethe-Instituts vom Zusammengehörigkeitsgefühl des Ensembles: „Das gibt einem Vertrauen, jeder einzelne geht mit einer größeren Kraft in die gemeinsame Arbeit hinein und traut sich unter Umständen mehr, als wenn man einzelkämpferisch als Gast unterwegs ist."

Gerade an kleinen und mittleren Theatern in der Fläche wird dieser besondere Zusammenhalt des Ensembles immer wie­der konstatiert. So erklärte die Regisseurin Vera Nemirova über ihre jüngste Arbeit - den „Fliegenden Holländer" - am Theater Magdeburg in der VoIksstimme. "An einem Ensembletheater, wo die Leute aufeinander abgestimmt sind, gibt es Bedingungen, die andere Qualitäten haben, als an den Theatern der Superlative, die andere Qualitäten haben."
 

Jenseits aller konservativen Beharrungskräfte, die Befürwortern des Repertoire- und Ensemble-Theaters gelegentlich untergeschoben werden, gilt der Ensemble-Abbau zugunsten von Bespieltheatern etwa auch den Feuilletons als kultureller GAU. So schrieb der Berliner Tagesspiegel, hinter dem Streit um die Berliner Volksbühne stecke die ernst zu nehmende Befürchtung, traditionsreiche und gewachsene Ensemblestrukturen könnten zugunsten eines Gastspielbetriebs aufgelöst werden." Und für viele Feuilletonisten in der Hauptstadt kommt das als besonders kreativ geltende Maxim Gorki dem Ensembletheater-Ideal am nächsten.
 

Für Oliver Reese, kommender Intendant des Berliner Ensemble, vermittelt sich die Identität eines Theaters durch die Integrität seines Ensembles. “Es sind fest engagierte Schauspieler, diesem Haus verpflichtet, mit Vertrag und mit Herzblut unterschrieben, mit der gegenseitigen Verpflichtung, sich über Regisseure und Stücke zu entwickeln, Schauspieler, denen das Publikum vertraut, auf die man sich freut."
 

Außerhalb fester Häuser müsste wohl in der Tat ein größeres finanzielles und materielles Risiko für Künstler befürchtet werden und eine durch Marktgesichts­punkte nivellierte Kunstproduktion.
 

INNOVATIONEN UND QUALITÄT MÜSSEN MÖGLICH BLEIBEN

Denn das würden die meisten Forderun­gen nach strukturellem Umbau, gewollt oder nicht, in letzter Konsequenz bedeuten: Das alte Repertoire- und Ensembletheater verschwände und mit ihm das Festengagement für die Künstlerinnen und Künstler. Die zu lesende Behauptung, die deutsche Theaterlandschaft sei genau seinetwegen materiell so teuer und gleichzeitig so künstlerisch arm, darf als Provokation um ihrer selbst willen gelten, auf die niemand reagieren muss. Wahr ist, dass der Druck auf die Häuser steigt, die Eigenquoten zu erhöhen. Richtig ist aber auch, dass Theater nicht zuletzt für ihre Innovationen bezuschusst werden. Gerade auch beim Musiktheater sind solche Experimente, aus denen durchaus Massenerfolge werden können, nur mit einem festen Apparat möglich, wie ihn die Stadttheater bieten. Ohne festes Ensemble würde die Qualität des Theaters sinken, weil der Kos­tendruck auf die gastierenden Theatergruppen stiege und nur noch entsprechend Massengeschmack produziert werden könnte. Die Sorge um die Qualität treibt beständig auch die Interessenge­meinschaft der Städte mit Theatergastspielen (INTHEGA) um.

Was passiert, wenn man den Marktwirtschaftlern noch weiter folgt, kann in Großbritannien besichtigt werden: Abseits von London sehen sich die Theater zuse­hends im Überlebenskampf zu populären Musicals und Shows gezwungen.
 

Im Gegensatz dazu werden die Künstlerinnen und Künstler gebraucht als Identifikation eines Theaters, das eine wichtige Rolle spielt in einer zunehmend fragmentierten Gesellschaft. Im Idealfall setzen sie sich mit den Themen „ihrer" Stadt auseinander, nehmen Debatten auf oder reißen sie an. Theater dürfen und müssen Sand im Getriebe einer Gesellschaft sein. Voraussetzung ist, dass die Künstlerinnen und Künstler in den Städten auch zuhause sind; sie brauchen Interesse und Kenntnis, Nähe und Identifikation. All das ginge völlig verloren, wenn Zuschauer nur noch das durchreisende Angebot konsumieren. Die gesellschaftliche Funktion des Theaters würde sich auflösen: Es würde nur noch Mainstream gespielt werden und jene Stücke fielen durchs ökonomische Raster, die auf den ersten Blick weder publikumswirksam noch ertragreich scheinen.
 

Bespieltheater wären bloße Hüllen, in denen beliebige, austauschbare Program­me abgespielt werden, die weder eine bestimmte stilistische Ausrichtung zulassen, noch eine eigene Identität entwickeln. Voraussetzung für künstlerische Qualität und Freiheit ist das gesunde Gleichgewicht von sozialer Sicherheit für die Kulturschaffenden und Flexibilität. Letztere würde durch Überregulierung verloren gehen und muss beständig definiert und austariert werden.
 

DAS ENSEMBLE SCHÜTZT

Ein aufgelöstes Ensemble oder eine geschlossene Sparte kehren in der Regel nicht zurück; das ist eine Binsenwahrheit, die aber gelegentlich in Vergessen­heit zu geraten scheint, wenn nicht nur Politiker und Unternehmensberater die Vorlage für die Attacke auf die Ensembles liefern, sondern auch Kulturjournalisten ins gleiche Horn stoßen.

Die Gemeinschaft von Schauspielerinnen und Schauspielern ist widerständig. Weil sie in „ihrer" Stadt verankert ist, kann der Wegfall nicht heimlich, ohne Aufsehen geschehen. Das Publikum kennt „sein" Ensemble.
 

Wie auch immer gewendet: Wer das Ensemble-Theater abschafft, nimmt zugleich reisende Künstlertruppen in Kauf, die Gastspielbühnen bedienen. Im Kern wäre das die Bankrott-Erklärung der bisher gelebten Kultur, die Übernahme einer bloß betriebswirtschaftlichen Rechnung, ein Kotau vor den Finanzpolitikern der Theaterträger und der Abschied von künstlerischer Qualität -eine Produktion müsste schließlich immer den kleinsten zu bespielenden Bühnen angepasst werden.

Wenn Politikern nahegelegt wird, die Aussagen der Theatermacher vom „alternativlosen" Ensemble-Theater nicht so ernst zu nehmen, sondern vielmehr auf dessen Abschaffung zu drängen, ist das unsolidarisch, um es sehr vorsichtig zu formulieren. Von der geforderten „Dekonstruktion" aller Strukturen zur „Deregulierung" ist es dann nicht mehr weit. McKinsey, Actori & Konsorten werden sich freuen.
 

Elitenbashing ist gerade in - auch wenn die Getroffenen gar keine Elite darstellen. Ob nun ein Kulturmanager von espressotrinkenden Theaterbesuchern fabuliert, die im Stadttheater-Foyer ihre nächsten Geschäfte vernetzen oder ein populistischer Politiker von der Champagneretage spricht, die es trocken zu legen gelte: Am Ende geht es immer gegen das vermeintliche Establishment. Unterschiedlich sind nur die Getränkesorten.

In der Realität sind die insgesamt 35 Millionen Theater-Besucher im Jahr bestimmt keine Elite, ihre Zahl entspricht etwa dem Dreifachen des Stadion-Publikums der 1. Bundesliga. Deren Interesse würde aber rasch nachlassen, wenn das liebgewonnene Haus aus Kosten- oder sonstigen Grün­den zum Bespieltheater degradiert wurde. Gegen die bisherigen Strukturen ist ganz sicher kein taugliches Argument, dass das Ensemble-Theater über eine lange Tradition verfügt. Vielleicht doch eher im Gegenteil?

(Jörg Rowohlt)

Auszug aus dem Fachblatt der Genossenschaft der Deutschen Bühnenagehörigen 3/17

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Fortsetzung von Seite 37, Heft sechs, Juni-Ausgabe

Lohengrin

Die Quellen - Literarische und historische Grundlagen


Schon als Schüler hatte Richard Wagner aus finanzieller Not eine Tugend gemacht und sich ein Taschengeld durch Korrekturlesen der von Loebell bearbeiteten Beckerschen Weltgeschichte verdient, die bei seinem Schwager Friedrich Brockhaus in einer neuen Auflage erschien. So gelang es ihm, den schlechten Unterricht, den er auf den öffentlichen Schulen zu genießen gezwungen war, durch Privatstudien auszugleichen.
 

Ihm bleibt hier nur in Erinnerung, dass in den Schulen sein Augenmerk ausschließlich auf die griechische Geschichte mit “Marathon, Salamis und Thermophylen” gelenkt wurde. Durch seine Tätigkeit als Lektor bei Brockhaus lernt er “zum ersten Male das Mittelalter und die französische Revolution genauer kennen, da in die Zeit meiner Korrekturarbeiten gerade der Druck derjenigen beiden Bände fiel, welche diese verschiedenen Geschichtsperioden enthielten.” (Mein Leben (ML) Seite 46)

Die reichhaltige Bibliothek seines Onkels Adolf Wagner, die Richard Wagner bei den Aufenthalten kennen lernte und aus der er den ’Parnasso Italiano’ später in seine Dresdener Bibliothek übernahm, machte ihn auch vertraut mit der griechischen Geschichte und dem griechischen Schauspiel. Hinzu kam von Johann Wilhelm Loebell ’Gregor von Tours und seine Zeit vornehmlich aus seinen Werken geschildert’. (1839 / DB 84)

Hauptsächlich war in der Sammlung “die altdeutsche Literatur vertreten und das ihr zunächst verwandte Mittelalterliche überhaupt [...]” (ML S. 274)

So wurde auch die ’Geschichte der Hohenstaufen’ in die eigene Bibliothek aufgenommen, von der Goethe sagte, dass das Werk die verblichenen Gespenster der Gegenwart wieder lebendig gemacht habe. Richard Wagner findet erst über den Sohn Friedrichs II., Manfred, zum Werk, um daraus eine fünfaktige Oper ’Die Sarazenin’ zu entwerfen.

Er betrieb eifrig Studien und mit Unterstützung seines Onkels Adolf Wagner “welcher auch in betreff der Musik anregend und fördernd auf mich wirkte” nahm er “bei einem Gelehrten Privatunterricht im Griechischen, und las mit diesem den Sophokles”. (ML S. 46)

Um hier nun möglichst vollständig sich ein Bild zu machen, musste er sich mit der Sprache auseinandersetzen und wenn es ihn zu der Hellenistischen Kultur hinzog, so “zog mich namentlich das Griechische an, weil die Gegenstände der griechischen Mythologie meine Phantasie so stark fesselten, dass ich die Helden derselben durchaus in ihrer Ursprache sprechend mir vorführen wollte, um meine Sehnsucht nach vollständiger Vertrautheit mit ihnen zu stillen.” (ML S 20)

Es wird deutlich, dass er schon sehr früh grundlegende Kenntnisse unter anderem über das Mittelalter besaß und dies seine Dichtungen beeinflusste.

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Später, während der Dresdener Zeit legte sich Richard Wagner eine eigene Bibliothek zu und erweiterte sie ständig. “[...] vor allem ward mein Haus mir innig heimisch durch eine Bibliothek, welche ich sofort, nach dem Plane der mir vorgesetzten Studien durchaus systematisch verfahrend, auf einmal mir anschaffte.” (ML S. 274).

Wie wichtig ihm Lektüre überhaupt war, dokumentiert sich auch in einer Aussage in der Biographie für das Jahr 1843: ” [...] reiste ich über Leipzig [...] nach Dresden zurück, um mich bei meinen Büchern wieder wohlzufühlen” [...] (ML Seite 297)

Später wurde diese Bibliothek von seinem Schwager Brockhaus konfisziert, die dieser dann nicht mehr gewillt war, herauszugeben. “Diese Bibliothek ging bei dem Zusammensturz meiner Dresdener Existenz auf sonderbare Weise in den Besitz des Herrn Heinrich Brockhaus über, welchem ich um jene Zeit 500 Taler schuldete [...] und nie wurde es mir möglich, diese charakteristische Sammlung von ihm zurückzugewinnen.” (ML S. 274)

Diese war eine schon in ihren Anfängen umfangreiche Büchersammlung, die auch den zweiten Weltkrieg überstand und nun “im neuen Verlagsgebäude” [...] in würdigem Rahmen wieder aufgestellt” ist. (Westernhagen, C. v., Richard Wagners Dresdener Bibliothek 1842 – 1849, Wiesbaden 1966)

Die Sammlung umfasst 169 Titel, wobei von Minna Planer durch eine genaue Aufstellung der Gesamtbestand nachgewiesen wurde, jedoch sind weitere 29 Titel von Minna Planer aufgeführt worden, wobei jedoch hier bibliographisch ungenau vorgegangen wurde und Richard Wagner auch andere Ausgaben und Auflagen besessen haben kann.

Hervorzuheben ist die Literatur von der angenommen werden kann, dass Richard Wagner sie vor Fertigstellung der Prosaskizze des ‚Lohengrin’ im Juli 1845 und der Dichtung bis zum November 1845 studiert hatte und die zumindest teilweise unmittelbar in Verbindung mit den frühen Werken ‚Die Hochzeit’, ‚Die Feen’, ‚Das Liebesverbot’, Rienzi, ‚Der fliegende Holländer’, ‚Tannhäuser’ standen - somit u.a. aber auch für den Lohengrin - folgenden Werke Bedeutung haben:

 ‚Artus-Sage’

herausgegeben von San Marte, 1842

‚Werke von Caesar’,

übersetzt von Anton Baumstark, 1838 / 1839

‚Deutsche Geschichte des Mittelalters’,

herausgegeben von Friedrich Heinrich von der Hagen, 1808 -
        1820

‚Deutsche Märchen und Sagen’,

herausgegeben von Johannes Wilhelm Wolf, 1845

‚Deutsche Sagen’

herausgegeben von den Brüdern Grimm, 1816 - 1818

‚Deutsches Theater’

herausgegeben von Ludwig Tieck, 1817

‚Die Edda’

herausgegeben von Friedrich Heinrich von der Hagen und von Heinrich Majer, 1818

‚Gesta Romanorum - ältestes Märchen und Legendbuch des christ-
                 lichen Mittelalters’

herausgegeben von Johann Georg Theodor Gräße, 1842

‚Goethe’s sämtliche Werke’, 1840

‚Diutiska’ – Denkmäler deutscher Sprache und Literatur’,

herausgegeben von E.G. Graff, 1826 - 1829

‚Deutsche Grammatik’

von Jacob Grimm, 1840

‚Deutsche Mythologie’

von Jacob Grimm, 1844

‚Ueber den altdeutschen Meistergesang’

von Jacob Grimm, 1811

‚Die deutsche Heldensage’

von Wilhelm Grimm, 1811

‚Der Helden Buch’, 1811

herausgegeben von Friedrich Heinrich von der Hagen,

‚Das kleine Heldenbuch’, 1844

herausgegeben von Karl Simrock,

‚Glossarium zu den Gedichten Walthers von der Vogelweide’

herausgegeben von C. August Hornig, 1844

‚Heinrich von Kleist - gesammelte Schriften’,

herausgegeben von Ludwig Tieck, 1826

‚Konrad von Würzburg’

mit Anmerkungen von Moritz Haupt, 1844

‚Gotthold Ephraim Lessing - Sämtliche Schriften’,

herausgegeben von Karl Lachmann, 1838 - 1840

‚Des Titus Livinius Römische Geschichte’

herausgegeben von Eucharius Ferdinand Christian Oertel,
        1822 - 1833

‚Lohengrin’

herausgegeben von J. Görres, 1813

‚Über den Krieg von Wartburg’

von C.T.L. Lucas, 1838

‚Minnesinger’

herausgegeben von Friedrich Heinrich von der Hagen, 1838

‚Römische Geschichte’

von B.G. Niebuhr, 1833 – 1843

‚Niederländische Sagen’

herausgegeben von Johann Wilhelm Wolf, 1843

‚Schillers sämtliche Werke ‚Shakespeares’ dramatische Werke’,
              1838

‚Quellen des Shakespeare in Novellen, Märchen und Sagen’

herausgegeben von Echtermeyer, Henschel und Simrock,
       1831

‚Das neue Testament’, o.J.

‚Ludwig Tieck’s Schriften’

herausgegeben von E. Reimer, 1828 - 1848

‚Die Gedichte Walthers von der Vogelweide’

erläutert von Karl Simrock, 1833

‚Flandrische Staats- und Rechtsgeschichte bis zum Jahr 1305’

 herausgegeben von Ludwig Friedrich Fues, 1835 - 1842

‚Wolfram von Eschenbach’

herausgegeben von Karl Lachmann, 1833

‚Lieder, Wilhelm von Orange und Titurel von Wolfram von Eschenbach und der jüngere Titurel von Albrecht in Übersetzung und im Auszuge, nebst Abhandlungen über das Leben und Wirken Wolfram’s von Eschenbach und die Sage vom heiligen Gral’

herausgegeben von San Marte, 1841

‚Wolfram von Eschenbach – Parcival, Rittergedicht’

herausgegeben von San Marte, 1836

‚Zeitschrift für Deutsches Alterthum’

herausgegeben von Moritz Haupt, 1841 - 1848

‚Mittelhochdeutsches Wörterbuch’

herausgegeben von Adolf Ziemann, 1838

‚Nibelungenlied’

          herausgegeben  von Al. J. Vollmer, 1843

‚Untersuchungen zur Geschichte der teutschen Heldensage’

          herausgegeben von Franz Joseph Mone, 1836

‚Conversations-Lexikon der Gegenwart’

herausgegeben von F.A. Brockhaus, 1838 - 1841

‚Brüder Grimm – Kinder- und Hausmärchen’, 1819 - 1822

‚Heinrich Heine - Buch der Lieder’, 1831 oder 1844

‚Heinrich Heine – Gedichte’, 1822

‚Das Heldenbuch’

herausgegeben von Karl Simrock, 1843 - 1846

‚Lessing’s Dramen und dramatische Fragmente’

erläutert von August Nodnagel, 1842

‚Deutsche Gedichte des 12. Jahrhunderts’

von Hans Ferdinand Maßmann, 1842

‚Wolfram von Eschenbach – Parzival und Titurel’

übersetzt und erläutert von Karl Simrock, 1842

Besonderen Einfluss auf sein Wirken als Dichter hatten Jacob Grimm ‚Deutsche Mythologie’ und Johann Gustav Droysen ‚Des Aischylos Werke’ und “das griechische und römische Altertum musste ich mir durch unsere klassisch gewordenen Übersetzungen leichtzumachen suchen [...]” (ML S. 274

Und [...] außerdem sorgte ich auf das Gründlichste für allgemeines Geschichtsstudium überhaupt und unterließ hierfür nicht mit den bändereichsten Werken mich vorzusehen [...]. (ML S. 275)

Er las [...] “Mones Untersuchungen der deutschen Heldensage, die ‚Deutschen Sagen der Brüder Grimm’, die ‚Deutsche Mythologie’ Jacob Grimms und die ‚Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen’ [...] (Gregor-Dellin RW S. 225)

Der junge Bildhauer Gustav Adolph Kietz berichtet, wie geschlossen die Bibliothek Richard Wagners allein durch ihr Äußeres “mit ihren gleichmäßigen Leinen- und Halbfranzbänden in ihrer Geschlossenheit gewirkt” habe. “Wagner hatte stets eine vorzügliche Bibliothek wertvoller Werke in reich ausgestatteten Einbänden, auf die er großen Wert legte.”

Durch die intensiven Studien war Richard Wagner mit dem Stoff der Mythologie so verraut geworden, dass er andere anleiten konnte und so Kietz “in den Geist der Werke eingeführt hatte. Besonders die nordische Mythologie, Parzival von Wolfram von Eschenbach, die alten deutschen Heldensagen lernte ich durch ihn kennen. Auch über deutsche Märchen sprach er viel. Wo ich nicht folgen konnte und fragen musste, fand ich Belehrung in liebenswürdigster und ausreichendster Weise.” (Westernhagen, C. v. - Richard Wagners Dresdener Bibliothek 1842 – 1849, Wiesbaden 1966)

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Außerdem entlieh sich Richard Wagner Werke der Literatur aus der öffentlichen Bibliothek.

[...] “Was er sich nicht selbst besorgen konnte und was zu umfangreich war, das entlieh er sich der Staatsbibliothek.” (GD RW S. 225)

Nach den Aufzeichnungen, die Minna Wagner bei der Übergabe der Bibliothek an Friedrich Brockhaus anfertigte, hatte Richard Wagner auch die Werke Shakespeares gelesen, somit waren ihm auch der Macbeth und die Machenschaften der Lady bekannt, so dass auch hier der Einfluss auf die Dramaturgie des Lohengrin möglich gewesen ist.

Und da er sich nicht damit begnügte, “ein neues Buch aufzuschlagen und durchzublättern, sondern [...] es von Anfang bis zu Ende, wenn auch mitunter in Absätzen durchzulesen”, so wird deutlich, dass er die Stoffe verinnerlichte und es ihm später möglich wurde, aus diesem geistigen Reservoir beim Abfassen der Dichtungen zu schöpfen.

Die gewonnenen Kenntnisse eröffneten ihm die Möglichkeit, die verschiedensten Elemente seiner Studien in seinen auch späteren Dichtungen zu verwerten. Inzwischen wurde wissenschaftlich nachgewiesen wie sehr Richard Wagner selbst in kleinsten Details alte Wortformen sich zurechtlegte und in seinen Musikdramen verwendete.

Während der Pariser Zeit vom 17.9.1838 bis 7.4.1842 war der Philologe Samuel Lehrs, eigentlich Samuel Levi, geboren 1806 in Königsberg (Pr.), gest. 13.4.1843 in Paris, durch Gottfried Engelbert Anders, “einem an der Bibliothèque royale für die Abteilung der Musik angestellten Deutschen” (ML S.180) mit Richard Wagner bekannt gemacht worden.

Anders schaffte “den Philologen Lehrs herbei und verschaffte mir dadurch eine Bekanntschaft, welche bald zu einem der schönsten Freundschaftsverhältnisse meines Lebens führte.” “Wir wurden bald so vertraut, dass ich ihn fast alle Abende regelmäßig mit Anders bei mir eintreten sah.” (ML S. 181 / 182)

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Bereits 1841 brachte Lehrs Richard Wagner einen Beitrag in den Jahresheften der Königsberger Deutschen Gesellschaft “in welchem Lukas den Wartburgkrieg’ kritisch näher behandelte” zur Lektüre.

Hier noch kann Richard Wagner den Stoff nicht näher für sich einordnen, allerdings kommt er auf diese Weise mit einer Zeit näher in Kontakt, denn “zeigte er mir doch das deutsche Mittelalter in seiner prägnanten Farbe, von der ich bis dahin keine Ahnung erhalten hatte.”

In dieser Veröffentlichung findet Richard Wagner nun auch  “und zwar als Fortsetzung des Wartburggedichtes, ein kritisches Referat über das Gedicht von ’Lohengrin’, und zwar mit ausführlicher Mitteilung des Hauptinhalts dieses breitschweifigen Epos.” (ML 315)

Auch den Lohengrin kann er geistig noch nicht verwerten, obwohl er dieses Bild in sich “unverlöschlich” bewahrt und, so dass er “bei späterem Bekanntwerden mit den Zweigen der Lohengrinsage dieses Bild schnell mit gleicher Deutlichkeit in mir beleben konnte”. ML 315)

Die mit der Lektüre gewonnen Eindrücke bestimmen Richard Wagner “nun bald nach Deutschland zurückkehren und dort mich der neu zu gewinnenden Heimat in schöpferischer Ruhe erfreuen zu können.” (ML S. 224)

Während der Entstehung des Tannhäuser – im Mai 1843 hatte er diese Dichtung vollendet – hielt er sich, nun als wohlbestallter sächsischer Hofkapellmeister in Teplitz in Böhmen zur Kur auf.

Hier vernachlässigte er die eigentlichen Kuranwendungen und hatte immer die ’Deutsche Mythologie‘ von Jacob Grimm bei sich.

Die Lektüre belastete ihn durch die Intensität der Darstellung, da “sein ungemein reicher, von jeder Seite her angehäufter und fast nur für den Forscher berechneter Inhalt auf mich [...] wirkte”, kam er auch nicht dazu “etwas von der Musik des ’Tannhäuser’ zu entwerfen” [...]”. (ML S. 273)

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Er bildete sich ein krank zu sein, blieb tagelang im Bett “las die deutsche Sagen von Grimm, nahm immer wieder die unbequeme Mythologie vor und war froh” durch eine Reise nach Prag sich ablenken zu können. (ML S. 273)

1845 ist Richard Wagner in Marienbad in Böhmen zur Kur. “Sorgsam hatte ich mir die Lektüre hierzu mitgenommen: die Gedichte Wolfram von Eschenbachs in den Bearbeitungen von Simrock und San Marte, damit im Zusammenhang das anonyme Epos vom ‚Lohengrin’ mit der großen Einleitung von Görres.” (ML S. 315)

Jedoch “gewann die an ihm so bedeutungsvoll haftende Schwanensage durch alle um jene Zeit vermöge meiner Studien mir bekannt gewordenen Züge dieses Mythenkomplexes einen übermäßigen Reiz für meine Phantasie.” (ML S. 315)

Nach der Kenntnisnahme der Quellen Wolframs sowie des anonymen sogenannten baierischen Lohengrins und auch der Sage durch die Gebrüder Grimm “erwuchs mir eine bald beängstigend sich steigernde Aufregung: “der Lohengrin stand plötzlich vollkommen gerüstet mit großer Ausführlichkeit in der dramatischen Gestaltung des ganzen Stoffes vor mir. Namentlich gewann die an ihm so bedeutungsvoll haftende Schwanensage durch alle um jene Zeit vermöge meiner Studien mit bekannt gewordenen Züge dieses Mythenkomplexes einen übermäßigen Reiz für meine Phantasie.” (ML Seite S. 315)

Richard Wagner geht zwar nicht weiter darauf ein, um welche Studien es sich handelt. So stellt sich die Frage; ob und inwieweit er über die erwähnte Lektüre hinaus, die er zum Teil schon 1841 in Paris kennen gelernt hatte, er weitere Quellen nach Marienbad mitnahm.

Um sich vom Stoff des Lohengrin abzulenken, entwirft Richard Wagner zunächst das Konzept zu den Meistersingern, [...] “dass ich, weil dies ein besonders heitres Sujet war, es für erlaubt hielt diesen weniger aufregenden Gegenstand trotz des ärztlichen Verbotes zu Papier zu bringen.“ (ML Seite 316) und um den Erfolg der Kur nicht zu gefährden, wehrt sich Richard Wagner förmlich dagegen, sich näher mit dem Stoff des ’Lohengrin’ weiter zu befassen.

Wie stark er den Stoff aber bereits verinnerlicht hatte, zeigt die Tatsache, dass er “von solcher Sehnsucht, den ’Lohengrin’ aufzuschreiben ergriffen ward, dass ich, unfähig, die für das Bad nötige Stunde abzuwarten, nach wenigen Minuten bereits ungeduldig heraussprang” [...]“und wie ein Rasender in meine Wohnung lief, um das mich Bedrängende zu Papier zu bringen. Dies wiederholte sich mehrere Tage, bis der ausführliche szenische Plan des ‚Lohengrin’ ebenfalls niedergeschrieben war.” (ML Seite 316)

Richard Wagner führt selbst aus, dass er nach dem fragwürdigen Publikums-Erfolg des ’Tannhäuser’ nicht zu innerer Ruhe kam, denn danach rief es ihn mit “Macht auf mich selbst zurück, um schnell etwas zu schaffen, worüber ich einzig die beruhigenden und peinigenden Aufregungen, die mir der ’Tannhäuser’ verursachte, loswerden konnte.”
(ML Seite 339)

Bereits nach den ersten Vorstellungen des ’Tannhäuser’: “führte ich das vollständige Gedicht des ’Lohengrin’ aus”. (ML Seite 339 )

Es ist kaum nachzuvollziehen, dass Richard Wagner sich immer wieder noch weitere Quellen zu der Schwanrittersage, auch noch während der Proben und den Aufregungen der ersten Vorstellungen des ’Tannhäuser’, zum Fertigstellen des Textes zum ‚Lohengrin’ erschließen konnte.

(Wird fortgesetzt)

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Die neapolitanische Oper –
Stimmfach und Charakter


Dieser Beitrag ist der hoffentlich provozierende Klagegesang eines frustrierten Mezzosoprans.

Während meiner Tätigkeit als Opernsängerin saß ich unzählige Male vor dem Garderobenspiegel im Theater und fragte das unergründliche Schicksal:

"Was haben die Komponisten gegen mich?"

Ich muss mir Falten ins Gesicht schminken als Mutter einer doppelt so alten Tochter; gleich setzt man mir eine graue Perücke auf und kleidet mich düster.

Bestenfalls darf ich meine naturgewollten weiblichen Zutaten wegpressen, in Knabenhosen steigen und mit eckigen Bewegungen den jugendlichen Liebhaber darstellen.

Im nächsten Stück werde ich ins Kloster gesteckt, erstochen oder ich sterbe im Wahnsinn, während die Soprankollegin mit allen kosmetischen Tricks rosig gestaltet, im weißen Gewande und unter blonder Perücke die Sympathie des Geliebten und des Publikums genießt.

Als Gesangspädagogin höre ich voller Freude die jungen Mezzo- und Altstimmen, das Publikum sagt: "Wie schön ist der satte Klang und wenn man alles versteht, weil nicht so hoch gezwitschert wird"- aber bei den auf ein paar 'Renner' reduzierten Spielplänen der unter Erfolgs- und Termindruck arbeitenden Opernhäuser, einfallslosen Dramaturgen, profil-neurotischen Regisseuren, kontobewußten Dirigenten und ängstlichen Intendanten wird es ihnen genauso ergehen, wie mir.

Liederabende haben keine Zuhörer mehr, es sei denn, für die Top-Stars mit Festival- und Schallplattennamen. Im Oratorium machen sich die unappetitlichen Falsettisten breit - ja, was rate ich nun meinen tatendurstigen, bildschönen, blitzgescheiten Vertreterinnen der mittleren und tiefen Stimmen?

Die Frage, warum wir denn Frauen minderer Qualität sein sollen, beantworteten mir die Dirigenten und Regisseure mit: "Frag nicht so blöd, das ist eben so" oder "das hat historische Gründe"!

Musik ist aber kein Naturprodukt, in das man ohne zu fragen hineinbeißt, sondern wird von Komponisten - Männern (Frauen waren ja wegen ihrer biblisch abgesicherten Inferiorität vom Lernen ausgeschlossen) ausgedacht.

Michelangelos und Rubens' Kollossalfrauen, Watteaus und Fragonads Püppchen mit den Wespentaillen, Gustav Klimts morbide Kleiderständer, die Photo-Idole unserer Zeit - bodygebildet und gestylt, es sind 'Imagines' der Frau.

Viele dieser Frauen singen von Vittoria Archilei bis Tina Turner, der Rock-Röhre.

Zweifellos besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem 'Bild' der Frau einer Epoche und der bevorzugten Stimmlage, in der die Komponisten sie singen lassen.

Stimm-Ideal, Ideal-Gewicht, Ideal-Typus, Forderungs-Kataloge ohne Ende, von den Herren namens 'Zeitgeist' aufgestellt, denen sich auch heute noch sogar zu Idolen erhobene Frauen unterwerfen und bis in den Tod treiben lassen, sind ein grauenerregendes Ärgernis.

Maria Callas, das Sänger-Genie unseres Jahrhunderts verlor Gesundheit, Stimme und Leben, weil sie sich zu Tode hungerte, um dem androgyn bevorzugten, in der Schickeria gängigen Mannequin-Typ anzugehören wünschte.
Warum hat kein zeitgenössischer Komponist ihre Freundschaft gesucht, in Zusammenarbeit mit ihr komponiert, ohne zirzensische Spitzentöne, aber voller aufregender Aussage?

Wo sind die Intendantinnen, die solche Stücke auf die Bühne bringen, Produzentinnen im Schallplattenbereich und in den Medien, Journalistinnen, die sie propagieren?

Risikolos werden weiter die alten Griechen veropert und Shakespeare zur Kasse gebeten und das Weiber-Schema: süße Geliebte (Sopran), böse Intrigantin (Mezzosopran), dumme Mutter (Alt) steht auch in neuesten Kompositionen gottgegeben fest.

Wie es zu diesem Schema kam, möchte ich herausfinden und befrage als erste Epoche die Zeit der Neapolitanischen Oper.

Danken möchte ich für wertvolle Literaturhinweise Herrn Prof. Lajos Rovatkay vom Studio für alte Musik an der Hochschule für Musik und Theater, Hannover; Frau Dr. Roswitha Flatz vom Theatermuseum des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Köln und Frau Dr. Sabine Döhring-Henze vom Institut für Musiktheater Thurnau der Universität Bayreuth. Ebenso Herrn Prof. Dr. Lippmann und seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im lnstituto Storico Della Musica in Rom und Frau Dr. Qrtrun Landmann und ihren freundlichen Mitarbeiterinnen der sächsischen Landesbibliothek in Dresden.

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Einleitung

Die Musikgeschichte versteht unter der 'Neapolitanischen Oper' die Werke jener Komponisten, die vom letzten Viertel des 17. Jahrhunderts an, der bis dahin dominierenden römischen und venezianischen Richtung einen neuen Stil und neue Formen entgegensetzten. Außer den aus Neapel stammenden Vertretern werden aber auch diejenigen zur neapolitanischen Schule gezählt, die außerhalb Neapels sich deren Tendenzen anschlossen.
Diese Epoche um N. Popora, L. Leo, L Vinci, J.A. Hasse und G.P. Pergolesi für eine Betrachtung in Bezug auf die Problematik: 'Frauenrolle - Stimmfach - Charakter' zu wählen, entschied vor allem die Tatsache, dass diese Zeit des barocken 'Belcantismo' einerseits eine operngeschichtliche geschlossene Stilistik aufweist und andererseits so hohe Anforderungen an die Virtuosität der menschlichen Stimme stellte, wie es nie wieder der Fall sein sollte.
Hinzu kommt, dass die Oper als theatralisches Ereignis zu der Zeit im Mittelpunkt aller gesellschaftlichen Kreise, also sowohl des aristokratisch-feudalen Hofes zum Zwecke der Festigung und Lobpreisung der 'gottgewollten' Ordnung, als auch zur Belehrung und Unterhaltung bürgerlicher Schichten diente.

Das 'Bild' der Frau in seiner literarisch-librettistischen Ausformung und analog dazu in seiner musikalisch-stimmlichen Einordnung in die sich in dieser Zeit konsolidierenden Fächer ist das Anliegen dieser Untersuchung.
Methodisch schien dies anfangs sehr einfach: Man nehme eine Reihe bekannter Opern der neapolitanischen Schule, katalogisiere Rollen und Besetzung, danach erhält man ein übersichtliches Schema der Präferenzen von hohen, mittleren und tiefen Stimmen - leider ist dem nicht so.

Schon der Spezialist Reinhard Strohm warnt in der Einleitung zu 'Die italienische Oper im 18. Jahrhundert':

"Wenn man die italienische Operngeschichte des 18. Jahrhunderts studiert und zu diesem Zweck z.B. in einer römischen Bibliothek nach Partituren und Dokumenten forscht, kann man manchen erfolglosen Arbeitstag verbringen.“

Die Oper war in jener Zeit Gebrauchsmusik, die auf die Bedürfnisse des jeweiligen Ensembles mit seinen Sängern, des jeweiligen Theaters mit seiner Technik und den Wünschen der Geldgeber, entweder war es ein Hof oder ein von Bürgern finanziertes Theater oder eine reisende 'compagnia', zugeschnitten wurde. Ein 'Werk' im Sinne des schöpferischen Genies romantischer Sichtweise war sie nicht.

Trotzdem habe ich versucht, aus dem Blickpunkt der Frauenrolle auf der Bühne der 'neapolitanischen Oper' einiges zusammenzutragen, was das 'Bild' erhellt, das sich die Gesellschaft des 18. Jahrhunderts von der Frau imaginierte.

Da dies aber weder mit der konkreten Lage der Frau noch mit der Situation der Berufssängerin in Einklang stand, postuliert Eva Rieger in ihrem Buch 'Frau, Musik und Männerherrschaft' eine längst notwendige sozial-psychologische Studie zu diesem Themenkomplex, die hoffentlich bald in Angriff genommen wird.

Erotische Witze und obszöne Legenden begleiteten seit jeher die Frau auf der Bühne, deren Arbeit der Gynäkologe Dr. B Bauer in seinem vielgelesenen Buch 'Komödiantin - Dirne' als "jedem Weibe gewiss angeborenen Dirnenkomplex mit dem treibenden Motiv ihrer sexuellen Unersättlichkeit" beschreibt.

Wenn es auch wissenschaftlich unerheblich ist, möchte ich hiermit allen verstorbenen Sängerinnen meinen tiefen Respekt zollen, für ihre ungeheure Arbeitsleistung.

Um diese wenigstens annähernd zu begreifen, schien es mir wichtig, die physiologischen Grundlagen und die Geschichte der Gesangskunst zu beleuchten. Daneben fand ich es unabdingbar, die Biographien von Interpretinnen und Komponisten der neapolitanischen Epoche anzuführen, um das soziale Umfeld zu erhellen.

Zur Katalogisierung von Oper, Frauenrollen und ihrer Besetzung stand mir bedauerlicherweise nur eine begrenzte Anzahl von Werken zur Verfügung, da sie verstreut, ungeordnet und für Nichtspezialisten unleserlich in italienischen Archiven liegen und auf interessierte Mäzene und kenntnisreiche Musikwissenschaftler warten. Daher konnte ich nur punktuell und exemplarisch die Frage nach Stimmfach und Charakter der Frauenrollen beantworten.

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 1. Die Frauenstimme
1.1 Physiologie des 'Stimmorgans'

 

"Jegliche stimmliche Äußerung der Menschen ist eine fundierte Einheit, eine Gestaltungsqualität, bei der vier Faktoren in enger Verbindung zueinander stehen: Dauer, Stärke, Tonhöhe und Klangfarbe. Diese vier Elemente des Stimmklangs sind als sich ständig wandelnde Faktoren auch in dessen Wandlung zur Sprache wirksam; sie sind jedoch auch schon in jedem atomaren Teil eines bewegten Klangablaufs nachweisbar und für seine Ausprägung von großer Bedeutung.

Zu den vier Klangeigenschaften Dauer, Stärke, Tonhöhe und Klangfarbe kommt in der Sprache, aber auch beispielsweise im Lachen, noch eine rhythmische Gliederung hinzu, ein Bezugssystem, das über romantisch-psychologische und akustische Gesetzmäßigkeiten hinaus vom geistigen her eine ordnende Funktion bekommt und erfüllt."

(Habermann, Günther – ’Stimme und Sprache’ – Stuttgart 1978, S. 89)

Ein 'Stimmorgan' im Sinne des Auges, als 'Sehorgan', des Magens, der Leber, der Lunge besitzt der Mensch nicht, sondern die menschliche Stimme entsteht durch ein kompliziertes Zusammenspiel verschiedener Organtätigkeiten.

Das stammesgeschichtliche Wirbeltier 'Mensch' entwickelte den Kehlkopf primär, um das Überfließen des Speisebreis in die unteren Luftwege zu verhindern.

Ein dichter Verschluss ermöglicht eine Drucksteigerung der subglottisch, d.h. unter der Stimmritze angestauten Luft, die uns z.B. befähigt, Fremdkörper oder in den Bronchien entstandenen Schleim durch Husten aus den oberen Luftwegen auszustoßen. Jene Organbezirke, die zum Sprechen und Singen zusammenwirken, sind also nicht eigentlich für diesen Zweck da, sondern werden dafür benutzt, weil sie hierfür fähig wurden.

 

"Zentrum des Stimmklanges sind die im Kehlkopf (Larynx) eingespannten Stimmlippen. Sie bestehen aus Muskeln mit der Funktion des Spannens. (musculus thyreoarytaenoideus). Den inneren Teil bildet der Stimm-Muskel (musculus vocalis), die Ränder werden als Stimmbänder bezeichnet, weil sie überwiegend aus elastischen Fasern zusammengesetzt sind.

Die Stimmlippen mit ihren Rändern, den Stimmbändern, ziehen sich im Kehlkopf von der vorderen Spitze des Schildknorpels (Cartilago thyreoldes) bis zu den sie bewegenden beiden Stellknorpeln (Cartilagines arytaenoideae) auch Aryknorpel genannt. Schildknorpel und Stellknorpel ruhen auf Ihrer Basis, dem Ringknorpel (Cartilago cricoidea). der den obersten Knorpelring der Luftröhre (Trachea) darstellt."

Göpfert, Bernd – ’Handbuch der Gesangskunst’ – Wilhelmhaven, 1988, S. 77

Schräg über dem Kehlkopf liegt, von unten nach hinten oben ragend, ein löffelförmiger Knorpel, der Kehlkopfdeckel (die Epiglottis); er hat verschiedene Aufgaben.

Beim Schluckakt legt er sich über den Kehlkopfeingang und verschließt praktisch seine Öffnung, so dass weder feste noch flüssige Nahrung in den Kehlkopf und in die Luftröhre gelangen kann.

Je weiter er sich aufrichtet, desto leichter erfolgt die Abstrahlung des in der Glottisebene entstehenden Stimmschalls, wodurch im Rahmen der endgültigen Klangbildung im 'Ansatzrohr’ schon hier dessen Qualitäten gefördert werden.

Die Bezeichnung 'Ansatzrohr' stammt von den Blasinstrumenten, direkt mit der Schallquelle verbundene Resonanzräume werden bei diesen so genannt. Weil die Verhältnisse bei der menschlichen Stimme ähnlich liegen, hat man auch für den menschlichen Stimm- und Lautbildungsapparat dieser Bezeichnung übernommen.

Im Ansatzrohr vollziehen sich die Bewegungsvorgänge, die dem Sprechen zugrunde liegen. Diese Tätigkeit wird allgemein als Artikulation bezeichnet. Man meint damit jene Wandlung des Luftstroms, die durch bestimmte Größen und Formveränderungen des Ansatzrohres, durch Verschluss oder Engebildung seine einzelnen Teile zu akustisch unterscheidbaren Schallfolgen führt.

Die bei der Sprachbildung mitwirkenden Teile wie Lippen, Zunge, Gaumensegel und Unterkiefer müssen, geschmeidig aufeinander eingespielt, unabhängig von der ruhig unter ihnen liegenden Kehle artikulieren.

Drückt die Zungenwurzel nach hinten, wird der freie Klang verhindert und es resultiert hieraus der bekannte 'Knödel'.

Der Ton wird von dem kontinuierlich anströmenden Luftstrom, der von unseren Atmungsorganen, der Lunge mit den ihr zugeordneten Organen, wie Rippen, Aus- und Einatmungsmuskeln, ausgehen, unterhalten. Die Klangformung des im Kehlkopf abgestrahlten primären Kehlkopftones geschieht im Bereich des Ansatzrohres, das sich zusammensetzt aus dem Kehlkopflumen, dem Cavum laryngis mit seinen Morgagnischen Ventrikeln (nach Giovanni Battista Morgagni [1682 -1771], berühmter Gelehrter der Frühzeit der pathologischen Anatomie), den unteren und den mittleren Rachenräumen, dem Mundraum, dem Nasenrachenraum und den Nasenräumen.

Für den Sänger wichtig sind auch die mit dem Klang mitschwingende Körperteile, die sogenannten Resonatoren. Es handelt sich dabei um das Brustbein, das spürbar mit Frequenzen des Grundtones mitschwingt, sowie um den Oberkiefer mit den Schneidezähnen, der seine Resonanzfrequenz in dem Obertonanteils des Stimmklanges besitzt, der die Tragfähigkeit der Singstimme ausmacht.

 

"Bei der Einatmung senkt sich die Zwerchfellkuppel und vergrößert den Brustraum auf Kosten des Bauchraumes. Hierbei drücken die im Bauchraum befindlichen Organe, die nicht komprimierbar sind und die sonst nirgendwo eine Ausweichmöglichkeit haben, die Bauchdecke elastisch nach außen. So können wir bei der Einatmung die Bewegung des Zwerchfells durch die Vorwölbung mittelbar ablesen. Bei der Ausatmung - und nur während der Ausatmung können wir unsere Töne produzieren - wird die zuerst passive Bauchmuskulatur aktiv. Sie zieht sich zusammen und gibt über den Bauchinhalt ihre Kraft auf das Zwerchfell weiter, so dass sich dieses im Brustkorb nach oben bewegt und den ausströmenden Atem in Gang setzt."

Haefliger, Ernst – ’Die Singstimme’ – Bern, 1983

Beim Sprechen und Singen ist der Entstehungsmechanismus für beide Stimmarten derselbe, wenn auch die akustischen Effekte verschieden sind. Atmung, Stimmklangbildung und Lautbildung erfolgen nach gleichen Grundsätzen und alle physiologischen Gesetze und Regeln gelten für die Singstimme in gleicher Weise wie für die Sprechstimme.

 

"Der Unterschied zwischen Singstimme und Sprechstimme beruht darauf, dass die einzelnen Klänge beim Singen meist viel länger dauern als beim Sprechen. Wenn man ein Wort erst gewöhnlich spricht und dann die Vokale im Wort sehr dehnt, so geht eben Sprechen in Gesang über. Das muss natürlich noch kein richtiger schöner Gesangston sein, sonst wäre ja jeder Sprecher auch Kunstsänger."

Fröschels 1920 in Habermann, Günther – ’Stimme und Sprache’ – Stuttgart 1978, S. 143

Während beim Sprechen keine bestimmten Tonstufen und Tönhöhen vorgeschrieben sind, müssen wir uns beim Singen genau an eine vorgegebene Tondauer und Tonhöhe halten. Wenn keine krankhaften Veränderungen im Stimmapparat oder im Gehör vorliegen, kann jeder Mensch singen, wenn sich auch seine Töne von denen eines geschulten Sängers unterscheiden wie der Lauf eines Unsportlichen von dem eines trainierten Sprinters.

Die Stimmentwicklung beginnt mit dem ersten Schrei des Neugeborenen, der um a' und h' liegt. Der Stimmumfang in der Säuglingszelt beträgt 2-3 Halbtöne und die Äußerungen beschränken sich auf wohlige Empfindungen und Unlustlaute. Von fünf Halbtönen im ersten und zweiten Lebensjahr verbreitert sich die Skala der verfügbaren Halbtöne bis zu 14 - 19 im zwölften Jahr bei den Knaben und bei den Mädchen bis zu 16 - 22 Halbtönen, obwohl die Untersuchungsergebnisse wegen der allgemeinen Akzeleration der Kinder und Jugendlichen, der Überprüfung geschulter und ungeschulter Stimmen, muttersprachlicher und klimatischer Unterschiede, differieren.


1.2 Stimmwechsel

 

"Die normale Pubertät (gesteuert vom genetischen Code /d. Verf.) ist durch einen Wachstumsschub sowie die Entwicklung der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale gekennzeichnet, wobei eine große Varationsbreite hinsichtlich des Pubertätsbeginns, des Wachstumsschubes und der Sexualentwicklung besteht.

Im Verlauf dieser Entwicklung kommt es, da Kehlkopf und Stimme sekundäre Geschlechtsmerkmale darstellen, besonders bei Knaben, aber auch in geringerer Ausprägung bei Mädchen, zu einem Wachstum des Kehlkopfes in vorwiegend anterio-posteriorer Richtung mit einer entsprechenden Längen- und Breitenzunahme der Stimmlippen. Der Längenzuwachs beträgt bei Knaben etwa 1 cm, bei Mädchen nur 3 - 4 mm, wobei aber für die Stimmfunktion auch die wachstumsbedingten Veränderungen im Bereich des Windkessels und des Ansatzrohres berücksichtigt werden müssen.

Akustisch manifestiert sich dieser Prozess als physiologische Mutation mit einer durchschnittlichen Senkung der Knabenstimme um eine Oktave und der Mädchenstimme um eine Terz."

Heinemann, Manfred – ’Hormone und Stimme’ – Leipzig 1976, S. 21-22

Der Stimmwechsel der Mädchen vollzieht sich mit der Menarche zwischen den 12. und 14. Lebensjahr etwa in einem Zeitraum zwischen 6 Wochen und 4 Monaten.
Die physiologische Ossifikation des Kehlkopfes setzt gegen Ende der Mutation ein, wobei sich dann die geschlechtsspezifischen Charakteristika: größeres Volumen, Prominentia Laryngea, spitzer Schildknorpelwinkel (Adamsapfel) beim Mann, kleineres Volumen, fehlende Prominentia Laryngia und stumpfer Schuldknorpelwinkel bei der Frau herausstellen.
Die mittlere Sprechstimmlage in den Tonbezirken zwischen fis und c' ist nun für die Alt-, Mezzo und Sopranstimme für das gesamte mittlere Lebensalter erreicht.

Der Gesundheitswert des Singens für die allgemeine körperliche wie geistige Entwicklung ist seit langem bekannt. Es bedeutet physisch eine Übung der Atemmuskulatur mit Erziehung zu einer zweckmäßigen, natürlichen Atemmechanik und Atemökonomie. Es erleichtert die optimale Geradehaltung der Wirbelsäule im Rahmen einer allgemeinen, körperliche Lockerung, fördert die Elastizität der Rippenknorpel und wirkt Indirekt auf die Herztätigkeit.

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1.3 Voraussetzungen für die Ausbildung

Erst wenn der Stimmwechsel gut überstanden ist, bei Mädchen im 16. - 17. Lebensjahr, sollte mit einem Geangsstudlum begonnen werden. Eine eingehende phoniatrische Untersuchung sowie die Berücksichtigung anatomischer und physiologischer Unterscheidungsmerkmale können dabei das Ohr des Pädagogen unterstützen. Kehlkopf und Ansatzrohr sollten normal beschaffen sein, die Lungenfunktion intakt und die Schleimhäute der oberen Luftwege dürfen nicht zu häufigen Entzündungen neigen.

Der Körper muss insgesamt gesund und kräftig sein. Sensibilität und die Fähigkeit, eine emotionell getragene Situation zu übertragen, sind unverzichtbar, wie auch die geistig-seelische Stabilität der Persönlichkeit.

In unserer mobilen Gesellschaft sind vielfältige Sprachkenntnisse nützlich, denn meist werden Opern an größeren Häusern in der Originalsprache aufgeführt.

Gutes Aussehen und körperliche Gewandtheit sind für die heutigen Sängerdarsteller unabdingbar, d.h. die Studentin muss sich auf eine überaus disziplinierte Lebensführung in einem gesellschaftlichen Ghetto einstellen.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, beginnt ein etwa sechsjähriges Studium, die Formung des kostbaren Instruments 'Stimme', umgeben von vielen flankierenden Unterrichtsfächern.

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1.4 Einteilung der Stimmgattungen
 

 

"Die Einteilung der Stimmgattungen kann unter verschiedenen Gesichtspunkten erfolgen. Zunächst kann man beim männlichen und beim weiblichen Geschlecht zwei Hauptgruppen unterscheiden, eine hohe und eine tiefe. Es ergibt sich also für jedes Geschlecht eine Zweiteilung Sopran - Alt, Tenor - Baß.

Die verschiedenartige künstlerische Verwendung der Stimmen hat aber, den praktischen Bedürfnissen entsprechend, weitere Unterteilungen erforderlich gemacht. So teilt man z.B. bei größeren Chören in acht Gattungen ein, unterscheidet also zwischen 1. und 2. Sopran, 1. und 2. Alt usw."

Pfau, Wolfgang – ’Klassifizierung der menschlichen Stimme’ – Leipzig 1973

Im Italienischen ist für die Einteilung der Stimmen der Begriff 'classificatione delle voci' gebräuchlich.

Um Stimmschäden zu vermeiden, sollten die mittlere Sprechstimmlage, der Stimmumfang, die vorherrschende Klangfarbe, die Dimensionen der Stimmlippen, die Form der Resonanzhöhlen und der Körperbau als Kriterien für die Einteilung in ein Stimm-Fach berücksichtigt werden.

(Wird fortgesetzt)



 

Schlussbemerkung

 


Liebe Frau Gilles,

gestern von einer längeren Auslandsreise zurückgekehrt beantworte ich gerne Ihre Anfrage. (Übrigens saßen in meinem Abteil zwei Hannoveraner, sehr kunstinteressiert, die ohne Unterlass auf den Hannoveraner Intendanten schimpften.“

(29.6.2017 – Herr K. aus L.)

 


Impressum



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- ausgezeichnet mit dem Kulturförderpreis der Stadt Regensburg

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Ersterscheinung der Ausgabe Regensburg am 27.07.2007
Erscheinungsweise: kulturjournal-regensburg zehn Mal pro Jahr von Februar bis August und Oktober bis Dezember

Ausgabe des Beiblattes als ’Mitteilung an meine Freunde’ mit Auszügen aus dem
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Als Zeitungs- / Theater-Abonnent und Abnehmer von voll bezahlten Eintrittskarten aus dem freien Verkauf verstehe ich diese Besprechungen und Kommentare nicht als Kritik um der Kritik willen,
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